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Goethes
Ästhetik.
Barbarenart die Kunst nur insofern schätze, als sie uns.
unmittelbar zur Zierde gereicht, und dafs alle Kunst sich
wieder auf Zierat, auf dekoratives Beiwerk beziehe,
während doch die Gegenstände ohne solchen über-
flüssigen Krimskrams schön sein sollten?)
In der Zeichenkunst veranlafst uns der Dilettantismus
zum Sehenlernen, zum Studium der Gesetze, wonach-
wir sehen, zum Erkennen der Formen, zum Unter-
scheidenlernen. In der Gartenkunst leitet er uns an,
„ein Bild aus der Wirklichkeit zu machen", und das ist
ein erster Eintritt in die Kunst. Eine reinliche
und vollends schöne Umgebung, wie sie der Garten-
dilettant oft schafft, wirkt immer wohlthätig auf die
Gesellschaft. In der Musik bewirkt der Dilettantismus
eine gesellige Verbindung der Menschen, eine edlere
Unterhaltung. Im Tanz schafft er ein geregeltes Gefühl
der Frohheit, die Möglichkeit eines schönen Umgangs,
er ermöglicht Geselligkeit in einem exaltierten Zustande. e)
In der lyrischen Poesie sind einige wohlthätige Folgen der
dilettantischen Ausübung: die Ausbildung der Sprache
im Ganzen, die Ausbildung der Gefühle und ihres
sprachlichen Ausdrucks, eine Idealisierung der Vor-
stellungen bei Gegenständen des gemeinen Lebens, eine
Kultur der Einbildungskraft, eine Ausbildung des Sinnes
für das Rhythmische, ein vervielfaltigtes Interesse an
Humanioribus im Gegensatz zu der Roheit des Un-
wissenden oder der pedantischen Borniertheit des blofsen
Geschäftsmannes und Schulgelehrten.
1) Vgl. den gleichen Brief an
stammen fast alle von Goethe.
Mey1
Die
Ausdrückm