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Goethes
Ästhetik
„Wie aber", fragte Eckermann, „s0ll man erkennen,
dal's einer zur bildenden Kunst ein wahrhaftes Talent
habe?"
"Das wirkliche Talent," sagte Goethe, "besitzt einen
angeborenen Sinn für die Gestalt, die Verhältnisse und
die Farbe, so dafs es alles dieses unter weniger Anleitung
sehr bald und richtig macht. Besonders hat es den
Sinn für das Körperliche und den Trieb, es durch die
Beleuchtung handgreiflich zu machen. Auch in den
Zwischenpausen der Übung schreitet es fort und wächst
im Innern. Ein solches Talent ist nicht schwer zu er-
kennen, am besten aber erkennt es der Meister."
Goethe
fragt und antwortet einmal:
„Wer uns am strengsten kritisiert?
Ein Dilcttant, der sich resigniert."
Da er an sich selber die schmerzliche Operation
vorgenommen hat, den Glauben an sein Nlalertalent
auszubrennen, so werden wir uns nicht wundern, wenn
er gegen den Dilettantislnus bei Andern recht streng
verfährt. Er hat mit Schiller viel über das Thema
gesprochen und geschriebenf) und eine längere,
schematisch gebliebene Arbeit "Über den sogenannten
Dilettantismus oder die praktische Liebhaberei in den
Künsten" ist uns als Folge dieser Diskussion überliefert.
Ihre Summe ist diese:
"Beim Dilettantismus ist der Schaden immer gröfser
als der Nutzen." Denn erstens: „Der Dilettant über-
springt die Stufen, beharrt auf gewissen Stufen, die er
ihren
Briefww
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VOII
1799-