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Goethes
Ästhetik.
scharfes Auge und ein sicheres Gedächtnis. Und trotz
alledem erlebte er die bittere Enttäuschung, dafs er auf
seinen Traum verzichten mufste. Und das, was seinen
Bildern fehlt, ist die Gröfse! Also gerade diejenige
Eigenschaft, die ihm als Menschen, die ihm besonders
aber in der der Malerei so nahe verwandten poetischen
Bethätigung niemand absprach, diese Eigenschaft ging
auf dem Wege zum Stift und Pinsel irgendwie verloren.
Nicht dafs er noch nicht völlig ausgelernt hat, ist die
Ursache, weshalb wir seinen Zeichnungen nichts ab-
gewinnen können, sondern ihr Charakter der Mittel-
mäfsigkeit läfst eine tiefere Ergriffenheit nicht zu. Wir
fühlen, dafs Goethe wohl eine Anzahl saubere Land-
schaften hätte liefern können, die als Ziminerschmuck
nicht übel gewesen wären, aber wir sagen uns auch,
dafs die bildende Kunst nicht viel verlor, als er sich
von ihr abwandte. gDenn der Dichter und Denker des
,Faust' war auf den Gebieten Rafaels und Michel Angeles
ein Dilettant. Er mnfste es selbst bekennen:
"Vieles hab ich versucht: gezeichnet, in Kupfer gestochen,
Öl gcmalt, in Thon hab ich auch manches gedruckt;
Unbeständig jedoch, und nichts gelernt, noch geleistet;
Nur ein einzig Talent bracht' ich der Meisterschaft nah:
Deutsch zu schreiben. Und so Verderb ich unglücklicher Dichter
In dem schlechtesten Stolff leider nun Leben und Kunstf")
Auf dem dritten grofsen Kunstgebiete, dem der
Musik, hat sich Goethe nur als Geniefsender beteiligt,
und wenn man auch die Geniefsenden in Meister und
Dilettanten
der Musik
teilen will,
Goethe zu
so werden auch
den Dilettanten
die Fachleute
rechnen. Er
Gedichte.
Epigrammc