XII.
Die
Dilettanten.
maß Goethe kein grofser Maler wurde, ist ein ästhe-
tisches Rätsel. Denn die Vorbedingungen scheinen
bei ihm alle erfüllt zu sein. Er hat sich gesehnt und
bemüht, in der bildenden Kunst Grofses zu leisten; er
hat sich fast ein halbes Jahrhundert hindurch, etwa von
1763 bis 1810, immer wieder im Zeichnen, Kupfer-
stechen, Modellieren oder anderer Kunstfertigkeit geübt,
er hat; eine Zeit lang, und zwar in Rom, unter der An-
leitung vortrefflicher Lehrer, heifsen Ernst daran ge-
wandt und die technischen Schwierigkeiten überwunden.
Er kannte die grofsen Meister alter und neuer Zeit wie
wenige Andere, er kannte die ästhetischen Theorieen
und dazu die kleinen Kniffe und Kunstgriffe. Er kannte
ferner das Äufsere der Menschen und der sonstigen
Natur aufs beste, hatte viel naive Freude an der sinn-
liehen Erscheinung der Dinge und war gewöhnt, aus allem,
was er sah, ein Bild zu machen. Schon als Knabe war
es ihm eigen, die Gegenstände in Bezug auf die Kunst
anzusehen, hatte e1' doch von Kindheit auf zwischen
Malern gelebt. 1) Für Formen und Farben hatte er ein
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1) Aus meinem Leben II, 6.