Das
Kritisieren.
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rissen wurden, wie früher der Homer von Wolff zer-.
splittert war. Nicht aus Gläubigkeit, sondern vom ge-
sunden Menschenverstande aus lehnte Goethe dieses
Bemäkeln und Bezweifeln ab. "Echt oder unecht
sind bei Dingen der Bibel gar wunderliche Fragen,"
sagte er. „Was ist echt als das ganz Vortreffliche,
das mit der reinsten Natur und Vernunft in Harmonie
steht und noch heute unserer höchsten Entwickelung
dient! Und was ist unecht als das Absurde, Hohle
und Dumme, was keine Frucht bringt, wenigstens keine
gute! Sollte die Echtheit einer biblischen Schrift durch
die Frage entschieden werden, 0b uns durchaus Wahres
überliefert worden, so könnte man sogar in einigen
Punkten die Echtheit der Evangelien bezweifeln, wovon
Markus und Lukas nicht aus unmittelbarer Ansicht und
Erfahrung, sondern erst spät nach mündlicher Über-
lieferung geschrieben, und das letzte, von dem ]iinger
Johannes, erst im höchsten Alter. Dennoch halte ich
die Evangelien alle vier für durchaus echt, denn es ist
in ihnen der Abglanz einer Hoheit wirksam, die von
der Person Christi ausging und die so göttlicher Art,
wie nur je auf Erden das Göttliche erschienen ist."
Gegen alle solche Kritik mufs derjenige, der klug
genug ist, um geniefsen und lernen zu wollen, sich die
Ohren zuhalten; erst recht aber mufs der Künstler sie
hartnäckig ignorieren. ,.Gegen die Kritik kann man
sich weder schützen, noch wehren, man mufs ihr zum
Trutz handeln, und das läfst sie sich nach und nach
gefallenf") Der Künstler nrufs seine Freude zuerst im
Zu Riemer ISII, Bicdermann III, 32.