Volltext: Goethes Ästhetik

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Goethes 
Ästhetik. 
noch tief in der Philisterei stecken, wenn man auf die- 
Entscheidung solcher Zweifel nur die mindeste Wichtig- 
keit legen wollte." 
Die Hochwildjagd der Philologen ist aber erst der An- 
griff auf die Echtheit ganzer Gedichte oder einzelner 
Teile. Nicht die Wahrheit der Evangelien, nicht die 
Gröfse und Schönheit der Nibelungen oder der 
homerischen Gedichte suchen sie in sich aufzunehmen 
und Andern mitzuteilen, sondern 0b diese uns über- 
lieferten erhabenen Werke etwas mehr oder etwas 
weniger alt sind, ob sie von dem Einen oder Andern 
herrühren: damit quälen sie sich und ihre armen 
Schüler ab. Goethe schüttelte den Kopf zu alledem. 
„Unter mancherlei wunderlichen Albernheiten der 
Schulen kommt mir keine so vollkommen lächerlich 
vor als der Streit über die Echtheit alter Schriften, 
alter Werke.  Ist es denn der Autor oder die Schrift, 
die wir bewundern oder tadeln? Es ist immer nur der 
Autor, den wir vor uns haben; was kümmern uns die 
Namen, wenn wir ein Geisteswerk auslegen? Wer will 
behaupten, dafs wir Virgil oder Homer vor uns haben, 
indem wir die Worte lesen, die ihnen zugeschrieben 
werden? Aber die Schreiber haben wir vor uns, und 
was haben wir weiter nötig?"1) 
In seinen letzten Tagen kam Goethe unwillkürlich 
in eine grofse religiöse Redeg) hinein, und dabei ge- 
dachte er auch der neuen Bibelkritik, in der die Bücher 
des Alten und Neuen Testaments eben so kritisch zer- 
I) 
x832. 
Maximen 
und 
Reflexionen. 
Eckermann, 
März
	        
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