Das
K ritisie re]
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meines ,Faustt mit der des ,Hiob' einige Ähnlichkeit,
so ist das wiederum ganz recht, und ich bin deswegen
eher zu loben als zu tadeln."
Diese philologische Art, Gedichte anzusehen, hat
Goethe auch sonst unangenehm] empfunden. „Da
wollen sie wissen, welche Stadt am Rhein bei meinem
,Hermann und D0rothea' gemeint sei. Als ob es nicht
besser wäre, sich jede beliebige zu denken! Man will
Wahrheit, man will Wirklichkeit und verdirbt dadurch
die Poesief")
„Die Deutschen," klagte er ein andermalf) "können
die iPhilisterei nicht loswerden. Da quengeln und
streiten sie jetzt über verschiedene Distichen, die sich
bei Schiller gedruckt finden und auch bei mir, und sie
meinen, es wäre von Wichtigkeit, entschieden helaus-
zubringen, welche denn wirklich Schillern gehören und
welche mir. Als 0b etwas darauf ankäme, als ob etwas
damit gewonnen würde, und als 0b es nicht genug
wäre, dafs die Sachen da sind!
"Freunde wie Schiller und ich, jahrelang verbunden,
mit gleichen Interessen, in täglicher Berührung und
gegenseitigem Austausch, lebten sich ineinander so sehr
hinein, dafs überhaupt bei einzelnen Gedanken gar
nicht die Rede und Frage sein konnte, ob sie dem
einen gehörten oder dem andern. Wir haben viele
Distichen gemeinschaftlich gemacht, oft hatte ich den
Gedanken und Schiller machte die Verse, oft war das
Umgekehrte der Fall, und oft machte Schiller den einen
Vers und ich den andern. Wie kann nun da von Mein
und Dein die Rede sein! Man müfste wirklich selbst
1) Eckermann, 27. Dezember 1826. 2) Eckerm;
I6. Dezember 1828.