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Goethes
Ästhetik.
sehen sie oft weiter nichts als ein paar schadhafte
Stellen. Manche Laien treten zu nahe an das Ölgemälde
heran und verderben sich dadurch das Bild; die Kritiker
begehen den gleichen Fehler in mancher Hinsicht. „An
meinen Bildern müfst ihr nicht schnuffeln, die Farben
sind ungesund," hat schon Rembrandt ausgerufen,
Goethe zitiert das Wort mit Behagenf) Eine solche
Schnuffelei ist z. B. die nach Fremdwörtern. Goethe
hat selbst eifrig nach Sprachreinheit gestrebt, hat oft
die ihm zuerst in die Feder gellossenen fremdländischen
Worte später verdeutscht; er hatte auch Riemer Gewalt
gegeben, in seinenjnlandschriften Fremdwörter aus-
zumerzen. Aber er schreibt demselben Riemer doch
auchz?) . . allein das mufs ich Ihnen gegenwärtig
vertrauen, dafs ich im Leben und Umgang mehr
als einmal die Erfahrung gemacht habe, dafs es eigent-
lich geistlose Menschen sind, welche auf die
Sprachreinigung mit so grofsem Eifer dringen. Denn
da sie den Wert eines Ausdrucks nicht zu schätzen
wissen, so finden sie gar leicht ein Surrogat, welches
ihnen ebenso bedeutend erscheint, und in Absicht auf
Urteil haben sie doch etwas zu erwähnen und an den
vorzüglichsten Schriftstellern etwas auszusetzen, wie es
Halbkenner vor gebildeten Kunstwerken zu thun pflegen,
die irgend eine Verzeichnung, einen Fehler der Per-
spektive mit Recht oder Unrecht rügen, ob sie gleich
von den Verdiensten des Werkes nicht das Geringste
anzugeben wissen. Überhaupt ist hier der Fall, der
öfters vorkömmt, dal's man über das Gute, was man
durch Verneinung und Abwendung hervorzubringen
Aphorismen.
Aus Teplitz,
Juni
1813