Das
Kritisieren.
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Aber können Sie denken, dafs seine nächsten Freunde
ihn dieses Gedichtes wegen tadelten, indem sie meinten,
es trage nicht genug von seiner Idealität? Ja, mein
Guter, man hat von seinen Freunden zu leiden gehabt!
Tadelte doch Humboldt auch an meiner Dorothea,
dafs sie bei dem Überfall der Krieger zu den Waffen
gegriffen und dreingeschlagen habe! Und doch, ohne
jenen Zug ist ja der Charakter des aufserordentlichen
Mädchens, wie sie zu dieser Zeit und zu diesen Zuständen
recht war, sogleich vernichtet, und sie sinkt in die Reihe
des Gewöhnlichen herab. Aber Sie werden bei weiterm
Leben immer mehr finden, wie wenige Menschen fähig
sind, sich auf den Fufs dessen zu setzen, was sein mufs,
und dafs vielmehr alle nur immer das loben und das
hervorgebracht wissen wollen, was ihnen selber gemäfs
ist."
In gröberer Form finden wir bei Weniger gebildeten
Leuten, dafs sie den Künstler nach den Illusionen be-
urteilen, die er ihnen giebt, und nach den Schineicheleien,
die er ihnen sagt. Schon 1786 erkennt Goethe: „Man
verdient wenig Dank von den Menschen, wenn man ihr
inneres Bedürfnis erhöhen, ihnen eine grofse Idee von
ihnen selbst geben, ihnen das Herrliche eines wahren,
edeln Daseins zum Gefühl bringen will. Aber wenn
man die Vögel belügt, Märchen erzählt, von Tag zu
Tag ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man ihr
Mannf")
Zu
Haften
den üblichsten Fehlern
an Kleinigkeiten. Von
der Kritiker gehört das
einer herrlichen Kirche
Ital.
Reise,
Vicenza,
September
1786.