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Viel prosaischer und grauer spann das Leben in
Deutschland sich ab, von gelegentlichen Festen mit ihrem
Aufputz und Maskenspiel nur sonderbar unterbrochen, aber
der religiöse Kultus, und besonders das Zeremonialwesen
der katholischen Kirche, bewährte sich doch auch da-
heim als eine ständig wirksame poetische Umkleidung
des menschlichen Lebens und seiner zwar ehrwürdigen,
aber doch auch unanschaulichen Grundwahrheiten. Die
Sakramente sind das Höchste der Religion, denn sie
sind sinnliche Symbole einer aufserordentlichen gött-
lichen Gunst und Gnadel) So sollen im Abendmahle
die irdischen Lippen ein göttliches Wesen verkörpert
empfangen und unter der Form irdischer Nahrung einer
himmlischen teilhaftig werden. Und mit solchen irdischen
Abbildern der höchsten Dinge umgiebt die katholische
Kirche das ganze Dasein ihrer Gemeindeglieder. „Hier
reicht ein jugendliches Paar sich einander die Hände,
nicht zum vorübergehenden Grufs oder zum 'l'anze;
der Priester spricht seinen Segen darüber aus, und das
Band ist unauflöslich. Es währt nicht lange, so bringen
diese Gatten ein Ebenbild an die Schwelle des Altars;
es wird mit heiligem Wasser gereinigt und der Kirche
dergestalt einverleibt, dafs es diese Wohlthat nur durch
den ungeheuersten Abfall verscherzen kann. Das Kind
übt sich im Leben an den irdischen Dingen selbst her-
an, in himmlischen mufs es unterrichtet werden. Zeigt
sich bei der Prüfung, dafs dies vollständig geschehen
sei, S0 Wird es nunmehr als wirklicher Bürger, als
wahrhaftei" und freiwilliger Bekenner in den Schofs der
Kirche aufgenommen, nicht ohne äufsere Zeichen der
1) Aus meinem Leben II, 7.
W. Bude, Goethes Ästhetik,