Kritisieren.
Das
zss
Der Mangel an Bescheidenheit, der zum Geschäft
des Kritikers zu gehören scheint, zeigt sich oft auch
als Einseitigkeit, als Anwendung einer bestimmten
Schablone; je nachdem etwas da hinein pafst oder
nicht pafst, passiert es oder wird es verworfen. Von
einem seiner hervorragendsten Zeitgenossen sagte Goethe
18271):
„Es ist nicht zu leugnen, Schlegel weifs unendlich
viel, und man erschrickt fast über seine aufserordent-
lichen Kenntnisse und seine grofse Belesenheit: Allein
damit ist es nicht gethan. Alle Gelehrsamkeit ist noch
kein Urteil. Seine Kritik ist durchaus einseitig, indem
er fast bei allen Theaterstücken blofs das Skelett der
Fabel und Anordnung vor Augen hat und immer nur
kleine Ähnlichkeiten mit grofsen Vorgängern nachweist,
ohne sich im mindesten darum zu bekümmern, was der
Autor uns von anmutigem Leben und Bildung einer
hohen Seele entgegenbringt. Was helfen aber alle
Künste des Talents, wenn aus einem Theaterstücke uns
nicht eine liebenswürdige oder grofse Persönlichkeit des
Autors entgegenkommt, dieses Einzige, was in die
Kultur des Volkes übergeht! In der Art und Weise,
wie Schlegel das französische Theater behandelt, linde
ich das Rezept zu einem schlechten Rezensenten, dem
jedes Organ für die Verehrung des Vortrefflichen
mangelt, und der über eine tüchtige Natur und einen
grofsen Charakter hingeht, als wäre es Spreu und
Stoppel."
Denselben Kritiker betraf Goethe auch einmal bei
dem gleichfalls häufigen Vergehen, ein Werk .nicht nach
Eckermann,
März
1327-