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Goethes
Ästhetik.
aus nützliche Winke zu geben. Im Februar 1323 war-
er so schwer krank, dafs man sein Ende erwartete; da
klagte er, mitten in Fieber-Phantasieen, besonders darüber,
dafs seine Arbeiten liegen blieben. „Und doch ist die
Anzeige der neuesten Boissereeschen Lieferungen so
dringend, die mufs ich ja rühmen und beleben." Dieser
Satz aus seinen Leiden heraus ist kennzeichnend für
Goethe. Als einen rechten Kritiker pries er einmal
Ludwig Tieck: „Bei ihm ruht das Urteil_auf dem Ge-
nufs, der Genufs auf der Kenntnis, und was sich sonst.
aufzuheben pflegt, vereinigt sich hier zu einem er-
freulichen Ganzenf") Und seine Grundsätze für rechte
Kritik teilt er dem Redaktor der jenaischen Litteratur-
Zeitung, die er beherrschte, mit folgenden Worten mit:
"Man gebe einem ]eden sein entschiedenes, individuelles
Talent mit Wohlwollen zu, man charakterisiere mit Ein-
sieht und Schärfe und zeige hinterdrein den Gebrauch
und Mifsbrauch desselbenf") Als Schiller des Freundes
Besprechung von Hebels alemannischen und Grübels
nürnbergischen Gedichten gelesen hatte, rühmt er "dieses
schöpferische Konstruieren der Werke und der Köpfe
und dieses treffende Hinweisen auf die Wirkungspunkte",
das sonst bei Kritiken immer vermifst werde.
Deutlicher sehen wir noch, wie wir Kunstwerke be--
urteilen sollen was wir ja. doch nicht ganz lassen
können wenn wir die Fehler betrachten, in die die
Kritiker leicht verfallen.
1) Besprechung von Ludwig Ticcks dramaturgischen Blättern.
2) An Eichstädt, 10. März 1805.