Das
Kritisieren.
Die Kritiker sind gerade diejenigen, für die das Kunst-
werk nicht bestimmt ist, und deshalb sind gerade
ihre Urteile von geringem Wert. Denn unter Kritisieren
verstehen wir doch gerade eine Thatigkeit des Geistes,
die mit dem Produzieren und Reproduzieren von Schön-
heiten nichts gemein hat; eine Thatigkeit, die dem
Schaffen, wie dem Geniefsen gleich feindlich ist; es ist
kein Erbauen, sondern ein Einreifsen und Zerreifsen.
Die Ausdehnung und Verallgemeinerung des Kritisierens
ist eine krankhafte Begleiterscheinung ungesunder Über-
kulturen. „Die Kritik ist eine blofse Angewohnheit der
Modernen," sagte Goethe im Alter zum Kanzler
v. MüllerÄ) „Was will das heifsen? Man lese ein Buch
und lasse es auf sich einwirken, gebe sich dieser Ein-
wirkung hin, so wird man zum richtigen Urteil darüber
kommen." Schon als Jüngling hatte er ein gesundes
Mifstrauen gegen alles Rezensentenwesen. Er zogimmer
vor, von einem Autor zu erfahren, wie er dachte, als
von einem Andern, wie der Autor hätte denken sollen?)
1) II. Juni 1822, Biedermann IV
Leben 1v, 16.
156.
meinem
Aus