Das
Genicfsen
Kunstwerke.
der
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er uns mitteilte. Denn es ist mit_der Schauspielkunst
wie mit allen übrigen Künsten. Was der Künstler thut
oder gethan hat, setzt uns in die Stimmung, in der er
selber war, da er es machte. Eine freie Stimmung des
Künstlers macht uns frei, dagegen eine beklommene
macht uns bänglich. Diese Freiheit im Künstler ist
gewöhnlich dort, wo er ganz seiner Sache gewachsen
ist, weshalb es uns denn bei niederländischen Gemälden
so wohl wird, indem jene Künstler das nächste Leben
darstellten, wovon sie vollkommen Herr waren. Sollen
wir nun im Schauspieler diese Freiheit des Geistes
empfinden, so mufs er durch Studium, Phantasie und
Naturell vollkommen Herr seiner Rolle sein, alle körper-
lichen Mittel müssen ihm zu Gebote stehen, und eine
gewisse jugendliche Energie mufs ihn unterstützen."
Bei den verschiedensten Künsten, auch bei solchen,
von denen keine Ästhetik spricht, haben wir einen
schönen Genufs, sobald wir grofse, die gewöhnlichen
Kräfte übersteigende Aufgaben spielend erfüllt sehen;
man denke an Akrobaten, Jongleure, Zirkusreiter, Kraft-
künstler, Tierbändiger. Goethe meint sogar: "Das
Schwierige leicht behandelt zu sehen, giebt uns das
Anschauen des Unmöglichen." Und wer sähe "Wunder"
nicht gern?
Weil das Kunstwerk nicht eigentlich "Verständnis
finden," sondern Emplindung und Stimmung erwecken
soll, da es ja aus solchen hervorgeht und nicht aus
Verstandesthätigkeiten, so braucht auch ein Gedicht
nicht verständlich oder verständig zu sein. Auch Goethe
"hat zuweilen Halbunsinn gedichtet und als vollwertig in
seine gesammelten Werke aufgenommen. ,Wanderers
Sturmlied" z. B. nennt der Dichter selber "leidenschaftlich