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Ästhetik.
Goethes
zu Eckermann, der wie Carlyle den ,Wilhel1n Meister'
zum Besitz jedes Gebildeten gemacht sehen wollte:
„Liebes Kind, ich will Ihnen etwas vertrauen, das
Sie sogleich über Vieles hinaushelfen und das Ihnen
lebenslänglich zu gute kommen soll. Meine Sachen
können nicht populär werden; wer daran denkt
und dafür strebt, ist in einem Irrtum. Sie sind nicht
für die Masse geschrieben, sondern nur für einzelne
Menschen, die etwas Ähnliches wollen und suchen und
die in ähnlichen Richtungen begriffen sind."
Goethe hätte auch sagen können, sie sind für reife,
gut gebildete Männer und Frauen geschrieben, und für
diese auch nicht zu schwer. Ein junger Engländer
sagte ihm einmal, dafs in Deutschland der ,Tass0' für
schwer gelteÄ) "Die Hauptsache beim ant-
wortete Goethe, „ist die, idafs man kein Kind mehr sei
und gute Gesellschaft nicht entbehrt habe. Ein junger
Mann von guter Familie mit hinreichendem Geist und
Zartsinn und genugsamer äufserer Bildung, wie sie aus
dem Umgange mit vollendeten Menschen der höhern
und höchsten Stände hervorgeht, wird den ,Tasso' nicht
schwer linden."
Als vom zweiten Teil des ,Faust' die Rede war,
mufste freilich auch Goethe zugestehen, clafs einige
Gelehrsamkeit und viel Lebens- und YVeltkunde voraus-
gesetzt würden. "Es erscheint hier eine höhere, breitere
hellere, leidenschaftslosere Welt, und wer sich nicht
etwas umgethan und einiges erlebt hat, wird nichts
damit anzufangen wissenß?)
1) Eckermann, I0. Januar I325.
1831.
2) Eckermann,
Februar