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Ästhetik.
Goethes
ist ganz natürlich. Der alte Wieland scherzte: „Man
könnte die Leute wohl amusieren, wenn sie nur amusabel
wären";') Goethe sagt uns die gleiche Wahrheit aus-
führlicher und ernster?)
„]eder Dichter baut sein Werk aus Elementen zu-
sammen, die freilich der eine organischer zu verflechten
vermag als der andere, doch kommt es auch viel auf
den Beschauer an, von welcher Maxime dieser ausgeht.
Ist er zur Trennung geneigt, so zerstört er mehr oder
weniger die Einheit, welche der Künstler zu erringen
strebt; mag er lieber verbinden, so hilft er dem Künstler
nach und vollendet gleichsam dessen Absicht. Man
kann in Rafaelischen Freskogemalden zeigen, wie sie
teilweise ausgeführt worden, wie die Arbeit dem Künstler
einen Tag besser gelang als den andern; dazu mufs
man aber das Bild ganz nah untersuchen, und jedes
Bild will doch aus einiger Ferne genossen sein. Wenn
gewisse mechanische Behandlungsweisen, wie Kupferstich
und Mosaik, in der Nahe vor dem Auge sich in ihre
technischen Atome zerlegen, so fallen die höchsten Kunst-
werke, Odyssee und Ilias, vor dem Scharfblick eines
trennenden Kritikers auseinander. ja, wer wird leugnen,
dafs selbst Sophokles manchmal seine Purpurgewänder
mit weifsem Zwirn zusammengenäht habe! Das alles
soll nur soviel andeuten, dafs der Dichter, besonders
der moderne, der lebende, Anspruch an die Neigung
des Lesers, des Beurteilers machen und voraussetzen
darf, dafs man konstruktiv mit ihm verfahre und nicht
durch eine disjunktive Methode ein zartes, vielleicht
1) Eckermann, 24. Sept. 1827.
September 1804, Weim. Ausg. IV,
a) Brief
I7, 196.
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Eichstädt,