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Ästhetik.
Goethes
nur in Neapel begreifen könnef) Ebenso schreibt er
schon aus Venedigg): "Es ist offenbar, dafs sich das
Auge nach den Gegenständen bildet, die es von ]ugend
auf erblickt, und so inufs der venezianische Maler alles
klarer und heiterer sehen als andere Menschen. Wir,
die wir auf einem bald schmutzkotigen, bald staubigen,
farblosen, die Wiederscheine VCYClÜStCTDClGYI Boden und
vielleicht gar in engen Gemachern leben, können einen
solchen Frohblick aus uns selbst nicht entwickeln. Als
ich bei hohem Sonnenschein durch die Lagunen fuhr
und auf den Gondelrändern die Gondoliere leicht
schwebend, bunt bekleidet, rudernd betrachtete, wie sie
auf der hellgrünen Fläche sich in der blauen Luft
zeichneten, da sah ich das beste, frischeste Bild der
venezianischen Schule." Schwerer wurde es ihm, als
er in dem fremden Lande auch zugleich in eine langst
vergangene Zeit sich hineindenken mufste. Er schritt
in den Ruinen von Pästum herum und war zuerst ent-
täuschtß) „Ich befand mich in einer völlig fremden
Welt; denn wie die Jahrhunderte sich aus dem Ernsten
in das Gefällige bilden, so bilden sie den Menschen
mit; ja, sie erzeugen ihn so. Nun sind unsere Augen
und durch sie unser ganzes inneres Wesen an schlankere
Baukunst hinangetrieben und entschieden bestimmt, so
dafs uns diese stumpfkegelförinigen, enggedrängten
Säulenmasten lästig, ja furchtbar erscheinen. Doch
nahm ich mich bald zusammen, erinnerte mich der
Kunstgeschichte, gedachte der Zeit, deren Geist solche
Bauart gemäfs fand, vergegenwärtigte mir den strengen
1)
1786.
Ital. Reise, 5. März
a) Ital. Reise, 23.
1787. e)
März 1737.
Ital.
Reise,
Oktober