Das
Genießen
Kunstwerke.
der
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mir wie eine Decke von den Augen gefallen. Die Be-
schreibungen, die Gleichnisse u. s. w. kommen uns
poetisch vor und sind doch unsäglich natürlich, aber
freilich mit einer Reinheit und Innigkeit gezeichnet, vor
der man erschrickt. Selbst die sonderbarsten erlogenen
Begebenheiten haben eine Natürlichkeit, die ich nie so
gefühlt habe als in der Nähe der beschriebenen Gegen-
ständef") Aus dieser Erfahrung heraus lobte er
Wilhelm v. Humboldt, weil er nach Spanien gehen
wollte, denn das werde uns Deutschen helfen, die
spanischen Schriftsteller für uns zu gewinnen?)
"Ich weifs es sehr gut an mir selbst, mit welcher unter-
schiedenen Einsicht ich einen italienischen Schriftsteller
oder einen englischen lese. Der erste spricht zu mir
gleichsam durch alle Sinne und giebt mir ein mehr
oder weniger vollständiges Bild; der letzte bleibt immer
der Gewalt der Einbildungskraft mehr ausgesetzt, und
ich bin nie ganz gewifs, ob ich das Gehörige dabei
denke und empfinde. So hat mir auch mein Aufenthalt
zu Neapel und meine Reise durch Sizilien eine gewisse
nähere Anmutung zu dem ganzen griechischen Wesen
verschafft, sowie mein Aufenthalt in Rom zu dem
lateinischen. Wenigstens kommt mir vor, dafs ich seit
der Zeit die Alten besser einsehe."
Wie zu den Dichtungen, so können wir auch zur
Malerei und Architektur anderer Völker ein rechtes
Verhältnis erst finden, wenn wir uns in ihre Landschaft
und Zustände hineindenken können. Goethe nennt uns
als Beispiel die neapolitanische Malerschule, die man
1) Ital. Reise, I7. Mai 1787.
Februar 1798. e) An W.
W. Bode, Goelhes Ästhetik.
Vgl. auch Brief an Schiller,
v. Humboldt, 26. Mai 1799.
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