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Ästhetik.
Goethes
aber nur einmal
Kommt
herein"
Begrüfst dic heilige Kapelle!
Da ist's auf einmal farbig helle;
Geschieht" und Zierat glänzt in Schnelle.
Bedeutend Wirkt ein edler Schein.
Gottes taugen ;
die Augen F")
Dies wird euch Kindern
Erbaut euch und ergötzt
S0 sah Goethe das Empfangen der Kunst als etwas
Feierliches an, und ebenso, wie wir in einer Kirche die
Störung des Gottesdienstes als eine Roheit empfinden,
so ging es ihm, wenn kleinliche Menschlichkeit sich
störend zwischen die Eindrücke erhabener Kunst drängte.
In dieser Hinsicht war das Publikum zu seiner Zeit
ebenso wenig anspruchsvoll, wie es heute leider auch
noch ist. Auch damals wollte die Menge nicht blofs
edle Klänge hören, sondern dazu den Musiker arbeiten,
wo nicht gar den Schweifs von seiner Stirne rinnen
sehen. Goethe hörte im Oktober 1786 in Venedig
ein Oratorium. Die Sänger erfüllten ihre Aufgaben
vorzüglich. „Es wäre ein trefflicher Genufs gewesen,"
schrieb er nachher nieder, "wenn nicht der vermaledeite
Kapellmeister den Takt mit einer Rolle Noten wider
das Gitter, und so unverschämt geklappt hätte, als habe
er mit Schuljungen zu thun, die er unterrichtete." Das
Publikum liefs sich diese ganz überflüssige Störung ruhig
bieten, empfand es offenbar gar nicht als Zudringlichkeit
des Kapellmeisters, der sich nur aufspielen wollte, und
Goethe bemerkt: "Es ist nicht das einzige Mal, dal's
es (das Publikum) sich einbilden läfst, das gerade ge-
höre zum Genufs, was den Genufs verdirbt."
1) Gedichte. Purabolisch, Gedichte.