Die
Form.
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„Die Sache ist sehr einfach," sagte Goethe. „Um
Prosa zu schreiben, mufs man etwas zu sagen haben;
Wer aber nichts zu sagen hat, der kann doch Verse
und Reime machen, wo denn ein Wort das andere
giebt und zuletzt etwas herauskommt, das zwar nichts
ist, aber doch aussieht als wäre es was."
Auf der andern Seite meinte er, dal's für poetische
Darstellungen immer der Vers gewählt werden sollte,
Weil in der prosaischen Form eine Anziehungskraft für
sonstige Prosa liegt. Deshalb arbeitete Goethe z. B.
seine ,lphigenie' in Verse um und hielt das für eine
grofse Verbesserung, obwohl sein Diener und Schreiber
Philipp Seidel gegen diese neue Form energisch
protestierte. Schiller folgte ihm darin mit dem ,Wallen-
Stein' und er mufste gestehen?) „Seitde1n ich meine
prosaische Sprache in eine poetisch-rhythmische ver-
wandle, befinde ich mich unter einer ganz andern
Gerichtsbarkeit als vorher ; selbst viele Motive, die in
der prosaischen Ausführung recht gut a1n Platze zu
Stehen schienen, kann ich jetzt nicht mehr brauchen;
Sie waren blofs gut für den gewöhnlichen Hausverstand,
dessen Organ die Prosa zu sein scheint, aber der Vers
"fordert schlechterdings Beziehungen auf die Einbildungs-
kraft, und so mufste ich auch in mehreren meiner
Motive poetischer werden. Man sollte wirklich alles,
Was sich über das Gemeine erheben mufs, in Versen,
Wenigstens anfänglich, konzipieren, denn das Platte
kommt nirgends so ins Licht, als wenn es in gebundener
Schreibart ausgesprochen wird." Goethe stinnnte zu
An
Goethe,
November
1797"