Volltext: Goethes Ästhetik

Die 
Form. 
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kann, und an die Stelle der bestimmten Gebote tritt 
eine ethische Freiheit, die allerdings zugleich die eine 
grofse Aufforderung in sich schließt: Handle stets nach 
deiner eigenen tiefsten Erkenntnis, folge der besten 
Stimme, die du in dir selbst verniminstl Wenn Goethe 
auf ästhetischem Gebiet die Befreiung von den bisherigen 
Geboten proklamiert, wenn er den jungen Dichtern zu- 
ruft: „Ihr habt jetzt eigentlich keine Norm", so fügt er 
hinzu: „die mlifst ihr euch selbst geben"; sie müssen 
sich nun bei jedem Gedicht ü-agen, nicht ob es vor 
dem Lehrbuch der Poetik, sondern 0b es vor ihrem 
höchsten ästhetischen Gewissen bestehen könne. "Sich 
frei zu erklären, ist eine grofse Anmaßung; denn 
man erklärt zugleich, dafs man sich selbst beherrschen 
wolle." 
Goethe war bereit, jeden Verstofs gegen die bisher 
heiligen poetischen Regeln zu billigen, wenn ein dichte- 
risches Genie ihn aus innerem Bedürfnis begehen mufste. 
Er nahm stets die Partei des freien Dichters gegen den 
herrschsüchtigen Schulmeister. Unreine Reime z. B. 
konnten ihm selbst reichlich angestrichen werden; er 
hat so viele davon, weil er auch beim Sprechen die 
Vokale nicht so scharf der Schreibweise nach aus- 
einander hielt, wie wir Heutigen das für schön und 
richtig halten, da wir alle mehr oder weniger eine Schul- 
Sprache uns angewöhnt haben. Er ging aber auch 
grundsätzlich einem mangelhaften Reime nicht ängstlich 
aus dem Wege, denn den geraden Weg fortzuschreiten 
ist weiser, als den Pedanten den Willen zu thun. "Wäre 
ich noch jung und verwegen genug," sagte er im
	        
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