Gehalt und
Tendenz.
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0b dies Erlebte euch ge för de rt habe. Ihr seid nicht
gefördert, wenn ihr eine Geliebte, die ihr durch Ent-
fernung, Untreue, Tod verloren habt, immerfort be-
trauert. Das ist gar nichts wert, und wenn ihr noch
so viel Geschick und Talent dabei aufopfert. Man
halte sich ans fortschreitende Leben und prüfe sich
bei Gelegenheiten; denn da beweist sich's im Augen-
blick, ob wir lebendig sind, und bei späterer Betrachtung,
ob wir lebendig waren."
Goethe deutet in diesen Sätzen an, welche Kunst-
arten er, der Weitherzige, vertilgt sehen möchte: die
tadelnden und entstellenden, denn Mifswollen und Mifs-
reden fördert weder den Autor noch sein Publikum. Er
war zeitlebens ein Feind der Karikatur, mifstraute auch
den Witzbolden nnd "Humoristen". Die Gestaltung ist
Aufgabe des Künstlers, nicht die Verzerrung der Ge-
stalten. Dafs die mythologischen Gebilde der Inder
und Ägypter so oft fratzenhaft sind, war unserm Dichter
immer wieder peinlichf) er war kein grofser Hunde-
freund, „sind doch Tiere nur Zerrbilder der Menschenf?)
Cr meinte, Lichtenbergs Wohlgefallen an Karikaturen
rühre wohl von seiner unglücklichen körperlichen Kon-
stitution her: es erfreue ihn, etwas noch unter sich zu
erblickenß) In den ,Guten Weibern' läfst Goethe eine
Gesellschaft sich mit dem Besehen von Zerrbildern
hinter-halten; ein Freund derselben, Sinklair, bemerkt:
1) Vgl. Noten zum Divan und Zahme Xenien, "Gott hat
den Menschen gemacht", "Und so will ich ein für allemal keine
Bestien in dem Göttersaal", "Nicht jeder kann alles vertragen"
und fölgendc. 2) Amalic in den ,Guten YVeibernK 3) Zu
Riemer, März 1806, Biedermann II, 26.