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Goethes
Ästhetik.
in einem grofsen Kreise gewirkt und genützt; aber es
war nicht Zweck, sondern ganz notwendige Folge, wie
sie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte stattfindet."
Schon in Italien schreibt er einmal nieder: "Welch
ein Unterschied ist nicht zwischen einem Menschen, der
sich von innen aus auferbauen, und einem, der auf die
Welt wirken und sie zum Hausgebrauch belehren willlm)
Den jungen poetischen Talenten riet er immer
wieder, auf sich Acht zu haben, dafs ihre Werke
an Gehalt mehr und mehr gewinnen. "Poetischer
Gehalt aber ist Gehalt des eigenen Lebens," den uns
niemand geben und nehmen kann?) Ein Prüfstein auf
diesen Gehalt ist bei Versen die Übersetzung in Prosa.
„Ich ehre den Rhythmus wie den Reim, wodurch Poesie
erst zur Poesie wird, aber das eigentliche tiefe und
gründlich Wirksame, das wahrhaft Ausbildende und
Fördernde ist dasjenige, was vom Dichter übrig bleibt,
wenn er in Prosa übersetzt wird. Dann bleibt der reine
vollkommene Gehalt, den uns ein blendendes Äufseres
oß, wenn er fehlt, vorzuspiegeln weifs und, wenn er
gegenwärtig ist, verdeckt." 3) Statt aller technischen
Finessen gab Goethe seinen jungen Freunden eine grofse
Regel: "Der junge Dichter spreche nur aus, was lebt
und fortwirkt, unter welcherlei Gestalt es auch sein
möge; er beseitige streng allen Widergeist, alles Mifs-
wollen, Mifsreden, und was er nur verneinen kann;
denn dabei kommt nichts heraus" "Fragt euch nur
bei jedem Gedicht, ob es ein Erlebtes enthalte, und
1) Ital. Reise. Caserta, I5. März 1787. 2) Noch
Wort für junge Dichter. Aus meinem Leben II, I0.
ein