Gehalt und
Tendenz.
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"Dichten ist ein Übermut;
Niemand schalte mich!
Habt getrost ein warmes Blut,
Froh und frei, wie ich!
geh;
Wenn des Dichters Mühle geh
Halte sie nicht ein!
Denn wer einmal uns versteht,
Wird uns auch vcrzcihüif")
Wenn das Genie eine göttliche Offenbarung ist, so
mufs man seine Bethätigung als ein von Gott gewolltes
Phänomen hinnehmen, ohne viel zu mäkeln. Nicht
der Eiferer ist fromm, sondern der Gottergebene.
"Hätte Gott mich anders gewollt,
So hätte er mich anders gebaut;
Du er mir aber Talent gezollt,
Hat er mir vicl vertraut.
Ich brauch' cs zur Rechten und Linken,
Wcifs nicht, was daraus kommt;
Wenn's nicht nmehr frommt,
YVird er schon winkcnße)
Aber freilich mufs nicht alles an die grofse Öffent-
lichkeit kommen, was der einzelne Dichter keck hervor-
Sprudelt. Als Goethe zwei eigene Gedichte, die er als
allzu stark nicht in seine Werke aufnahm, Eckermann
zeigte, bemerkte erz3)
"Könnten Geist und höhere Bildung ein Gemeingut
Werden, so hätte der Dichter ein gutes Spiel; er könnte immer
durchaus wahr sein und brauchte sich nicht zu scheuen,
1) Divan,
Xenien. a)
Buch des Sängers, Derb und tüchtig.
Eckcrmann, 25. Februar 1824.
9) Zahmc