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Goethes
Ästhetik.
fangsbuchstaben begnügen und dadurch dem Wohlstand
seine Verbeugung machen, ohne die Sache aufzuopfern."
Goethe konnte aber auch sehr verdriefslich werden,
wenn ihm reife, lebenskundige Männer mit ihren „sitt-
lichen Bedenken" kamen. "Ich hab's auch nicht für
Euch, ich hab's für die jungen Mädchen geschrieben!"
rief er einmal seinem alten Kameraden Knebel zu, als
dieser die ,Wahlverwandtschaften' für gefährlich hielt.
Goethe wufste von sich selbst und von vielen grofsen
Dichtern aller Zeiten, dafs die sexuellen Naturalia
zweifellos auf dem Felde der Kunst liegen. Wieland
zum Beispiel war der ehrenwerteste, wohlmeinendste,
sittlichste Mensch, aber bekanntlich hat gerade er sich
oft versucht gefühlt, in seinen Dichtungen die Grenze
des Anständigen und Schicklichen zu überschreiten;
Goethe erwähnt es in seiner Gedächtnisrede auf den
entschlafenen Freund und" bemerkt, dafs „von jeher das
Genie solche Wagestücke unter seine Gerechtsame ge-
zählt hat". Ein andermal urteilt erzl) "Die Kunst an
und für sich selbst ist edel, deshalb fürchtet sich der
Künstler nicht vor dem Gemeinen; ja, indem er es auf-
nimmt, ist es schon geadelt, und so sehen wir die
gröfsten Künstler mit Kühnheit ihr Majestätsrecht aus-
üben." Und weiter: „In jedem Künstler liegt ein Keim
von Verwegenheit, ohne den kein Talent denkbar ist,
und dieser wird besonders rege, wenn man den Fähigen
einschränken und zu einseitigem Zweck dingen und
brauchen will."
Auch in diesem Sinne ruft
und schwunglosen Kritikern zu:
der
Dichter
grämlichen
Verschiedenes
Einzelne
über
die
Kunst.