Tendenz.
Gehalt und
177
eine Jungfrau mit dem Kinde ein durchaus guter Gegen-
stand, der hundertmal behandelt worden und immer
gern wieder gesehen wird."
Neben den Frommen präsentieren die Moralisten
ihre Forderungen an die Kunst, und auch sie müssen
eine freundliche Abweisung erfahren. Der Künster hat
das Sinnlich-Höchste darzustellen, nicht das Sittlich-
Höchste 51) das Sinnlich-Schöne kann eine vortreffliche
sittliche Beziehung haben und gewinnt dann dadurch,
aber es mufs sie nicht haben. Weil die Kunst sehr oft
sittliche Probleme behandelt, kommt man leicht zu dem
Wunsche, dafs sie in unser moralisches Urteil einstimmen
möchte. Das darf aber keine Vorschrift werden, denn die
Darstellung des Künstlers hat „keinen didaktischen Zweck.
Sie billigt nicht, sie tadelt nicht, sondern sie entwickelt
die Gesinnungen und Handlungen in ihrer Folgef")
Wo der Künstler überhaupt belehrend wirkt, darf er es
nur unmerklich thunß) Es giebt Kunstwerke, deren
eigentlicher Charakter gerade darin liegt, dafs sie den
Menschen nicht auf sich selbst zurück, sondern aus
sich hinaus ins unbedingte Freie führen. So haben wir
in den Märchen, die doch gewifs echteste Poesie sind,
blolse Spiele einer leichtfertigen Einbildungskraft, die
vom Wirklichen bis zum Unmöglichen hin und wieder
schwebt und das Unwahrscheinlichste als etwas Wahr-
haftes vorträgtß)
1) Vgl. ,Lctzte Kunstausstellungß x805. 2) Aus meinem
Leben III. 3) Über das Lchrgedicht, 1825, s. auch Be-
sprechung von Hebels Alcm. Gedichten. 4) Noten zum Divan.
W. Bode, Goethes Ästhetik. 12