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Goethes
Ästhetik.
Erfindungen des Altertums seien alle Glaubenssachen
gewesen, wir aber wiederholten sie nur als Phantasterei.
Aber Goethe verlangte doch auch eine reinliche Scheidung
zwischen Religion und Kunst, womit ja eine gelegent-
liche Verbindung beider nicht ausgeschlossen ist. Er
erklärte: „Die Religion bedarf keines Kunstsinns, sie
ruht auf ihrem eignen Ernst; sie verleiht aber auch
keinen, so wenig sie Geschmack giebtf") Wir wissen
schon, wie ärgerlich ihm jene Auchkünstler waren, die
ihre Mängel an künstlerischeln Vermögen durch
Frömmigkeit zu ersetzen suchten, und ebenso jene
"Theoretiker, die die Religion zum alleinigen Fundament
der Kunst machen wollten und sich gar zu Folgerungen
verstiegen wie die: einige Mönche waren Künstler,
deshalb sollten alle Künstler Mönche seinle) "Die
Religion," sagte dagegen Goetheß) "steht in demselbigen
Verhältnis zur Kunst wie jedes andere höhere Lebens-
interesse auch. Sie ist blofs als Stoff zu betrachten,
der mit allen übrigen Lebensstoffen gleiche Rechte hat.
Auch sind Glaube und Unglaube durchaus nicht die-
jenigen Organe, mit welchen ein Kunstwerk aufzufassen
ist, vielmehr gehören dazu ganz andere menschliche
Kräfte und Fähigkeiten. Die Kunst aber soll für die-
jenigen Organe bilden, mit denen wir sie auffassen;
thut sie das nicht, so verfehlt sie ihren Zweck und
geht ohne die eigentliche Wirkung an uns vorüber.
Ein religiöser Stoff kann indefs gleichfalls ein guter
Gegenstand für die Kunst sein, jedoch nur in dem
Falle, wenn er allgemein menschlich ist. Deshalb ist
I)
1802.
Verschiedenes Einzelne über die
3) Eckcrmann, 2. Mai 1824.
Kunst.
e) Annalen,