Der Stoff.
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ist; aber Sie werden linden, dafs eben diese beiden
gewaltigen Hilfen, die Geschichte und Philosophie, dem
Werke an verschiedenen Teilen im Wege sind und
seinen reinen poetischen Succefs hindern. S0 leidet
Manzoni durch ein Übergewicht der Geschichte."
Schon früher hatte Goethe über diesen Mangel bei
dem jungen Italiener geklagtß)
„Er hat gar zu viel Respekt vor der Geschichte und
fügt aus diesem Grunde seinen Stücken immer gern
einige Auseinandersetzungen hinzu, in denen er nach-
weist, wie treu er den Einzelheiten der Geschichte ge-
blieben. Nun mögen seine Fakta historisch sein, aber
seine Charaktere sind es doch nicht, so wenig es mein
Thoas und meine Iphigenia sind. Kein Dichter hat je
die historischen Charaktere gekannt, die er darstellte;
hätte er sie aber gekannt, so hätte er sie schwerlich
so gebrauchen können. Der Dichter mufs wissen, welche
Wirkungen er hervorbringen will, und danach die Natur
seiner Charaktere einrichten. Hätte ich den Egmont
so machen wollen, wie ihn die Geschichte meldet, als
Vater von einem Dutzend Kinder, so würde sein leicl1t-
sinniges Handeln sehr absurd erschienen sein. Ich
mufste also einen andern Egmont haben, wie er besser
mit seinen Handlungen und meinen dichterischen Ab-
sichten in Harmonie Stände, und dies ist, wie Klärchen
sagt, mein Egmont".
„Und wozu wären denn die Poeten, wenn sie blofs
die Geschichte eines Historikers wiederholen wollten!
Der Dichter mufs weiter gehen und uns womöglich
etwas Höheres und Besseres geben. Die Charaktere
1) Eckcrmann, 31. Januar
YV. Rode, Goethes Ästhetik.
1827-