Der
Stoff.
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sei, dafs hinter den vorgeschobenen Personen durchaus
etwas Allgemeines, Höheres verborgen liegef") Selbst
seine eigeneLebensgeschichte glaubte Goethe nurmit dieser
höheren künstlerischen Erhöhung erzählen zu dürfen?)
„Ich dachte," sagte er zu Eckermann, "es steckten
darin einige Symbole des Menschenlebens. Ich nannte
das Buch ,Wahrheit und Dichtung", weil es sich durch
höhere Tendenzen aus der Region einer niedern Realität
erhebt. Jean Paul hat nun, aus Geist des Widerspruchs,
,Wahrheit' aus seinem Leben geschrieben. Als ob die
Wahrheit aus dem Leben eines solchen Mannes etwas
Anderes sein könnte, als dal's der Autor ein Philister
gewesen! Ein Faktum unseres Lebens gilt nicht, insofern
es wahr ist, sondern insofern es etwas zu bedeuten hatte."
Wohl schliefst unser Dichter sein gröfstes Werk mit
dem mystischen Chor
"Alles Vcrgängliche
Ist nur ein Gleichnis."
Dieser Satz enthält jedoch nur eine ethisch-religiöse
Ahnung und Forderung. Der arme Menschengeist
reicht nicht so weit, dafs er wie jene der Gottheit zu-
nächst Wohnenden in allem Vergänglichen ein Abbild
des ewigen Wesens erkennen könnte. Darum greift
der Künstler auch nicht irgend etwas aus allem Ver-
gänglichen heraus, sondern nur dasjenige, was wir als
Gleichnis des Unvergänglichen schon fassen können.
Schon als halbwüchsiger Knabe hat Goethe in seinem
YTaterhauSe mit alten Malern disputiert wie der zwölf-
jährige Jesus mit den Schriftgelehrten; der rechte Stoff
1) v, Müller,
Januar 1 82 1.
9) Eckermann,
3o.März 1831.