Goethes
Ästhetik.
Zweckmlifsigkeit ihres Baues? Es war nicht blofs das
Zierliche, Leichte, Graziöse ihrer Bewegungen, sondern
noch etwas mehr, worüber ein guter Reiter und Pferde-
kenner reden müfste und wovon wir andern blofs den
allgemeinen Eindruck empfinden."
"Könnte man nicht auch," fragte sein Begleiter,
"einen Karrengaul schön nennen, wie uns vorhin einige
sehr starke vor den Frachtwagen der Brabanter Fuhr-
leute begegneten?"
"Allerdings," erwiderte Goethe, „und warum nicht?
Ein Maler fände an dem stark ausgeprägten Charakter,
an dem mächtigen Ausdruck von Knochen, Sehnen
und Muskeln eines solchen Tieres wahrscheinlich noch
ein weit mannigfaltigeres Spiel von allerlei Schönheiten
als an dem mildern, egalern Charakter eines zierlichen
Reitpferdes.
"Die Hauptsache ist immer," fuhr Goethe fort, „dafs
die Rasse rein und der Mensch nicht seine ver-
stümmelntle Hand angelegt hat. Ein Pferd, dem Schweif
und Mähne abgeschnitten, ein Hund mit gestutzten
Ohren, ein Baum, dem man die mächtigsten Zweige
genommen und das übrige kugelformig geschnitzelt hat,
und über alles eine Jungfrau, deren Leib von Jugend
auf durch Schnürbrüste verdorben und entstellt worden,
alles dieses sind Dinge, von denen sich der gute
Geschmack abwendet und die blofs in dem Schönheits-
katechismus der Philister ihre Stelle haben."
Hier brach das Gespräch ab. Dafs Druck und
Zwang die Menschen häfslich mache, hat Goethe öfters
beklagt; so schalt er auf die norddeutsche Sitte, dal's