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Goethes
Ästhetik.
Griechen, die sich bis auf Menander, Longus und andere,
wenig bekannte Poeten erstreckteß) erklärt sich nament-
lich daraus, dafs sie eine Kultur darstellen, die er der
Menschheit gern wieder gegönnt hätte. Und ebenso
liebte er in Moliere namentlich auch den Vertreter
einer
edlen
Kultur.
"Es ist nicht blofs das vollendet künstlerische Ver-
fahren, was mich an ihm entzückt, sondern vorzüglich
auch das liebenswürdige Naturell, das hochgebildete
Innere des Dichters. Es ist in ihm eine Grazie und
ein Takt für das Schickliche und ein Ton des feinen
Umgangs, wie es seine angeborene schöne Natur nur
im täglichen Verkehr mit den vorzüglichsten Menschen
seines Jahrhunderts erreichen konntef")
Den Rat, der aus diesem letzten Satze klingt, hat
Goethe oft dahin erweitert, dafs man mit den besten
Menschen aller Zeiten täglich verkehren solle, was uns-
ja ihre hinterlassenen Werke gestatten. Dann werden
wir grofs und heiter auf die irdische Welt blicken; dann
können wir auch, wenn die Musen uns besuchen wollen,
wie die Griechen die geringere reale Natur zu der Höhe
unseres Geistes heranheben und dasjenige vollenden,
was in den natürlichen Erscheinungen aus innerer
Schwäche oder aus äufserern Hindernis nur Intention
geblieben istß) Dann leben wir nicht mehr dem Tage,
vergehen nicht mit ihm, sondern wir sehen die alten
und neuen Zeiten und die Länder der Erdei vor
1) Eckermann, 28. März 1827 und Riemer, 22.
Biedermann II, I76. 2) Eckermann, 28. März
3) Eckermann, 20. Oktober 1828.