Dichters
Dcs
Lehrjahre.
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gerade der Dichter sich von der Macht und Pracht
eines Grofsen anziehen läfstf)
„Der obersten Gewalt, von der alles herfliefst,
Wohlthat und Pein, unterwerfen sich mäfsige, feste,
folgerechte Naturen, um nach ihrer Weise zu leben und
zu wirken. Der Dichter aber hat am ersten Ursache,
sich dem Höchsten, der sein Talent schätzt, zu widmen.
Am Hof, im Umgange mit Grofsen, eröffnet sich ihm
eine Weltübersicht, deren er bedarf, um zum Reichtum
aller Stoffe zu gelangen. Hierin liegt nicht nur
Entschuldigung, sondern Berechtigung, zu schmeicheln,
wie es dem Panegyristen zukommt, der sein Hand-
werk 9.111 besten ausübt, wenn er sich mit der Fülle
des Stoffes bereichert, um Fürsten und Vesire,
Mädchen und Knaben, Propheten und Heilige, ja
zuletzt die Gottheit selbst, menschlicherweise überfüllt
auszuschmücken."
Es ist nicht genug, dafsi der Dichter seine Seele vor
dem Negieren hüte ; er rnufs geradezu Gröfse als Mensch
anstreben. "Man mufs etwas sein, um etwas zu
machenf") Die gröfsten Dichter erscheinen uns als
solche, weil sie auch grofse Menschen sind, und oft be-
wundern wir einen Künstler eigentlich nicht deshalb,
weil wir seine Kunst, sondern weil wir seine Kultur
liebenß) Goethes enthusiastische Begeisterung für die
1) Noten zum Divan. Gegenwirkung. Vgl. auch ebenda,
Enwcri. 2) Eckermann, 20. Oktober 1828. 3) Vg1_
Goethes Urteil über Miltons Verlorenes Paradies. Brief an Schiller,
31. Juli 1799.
W. Bode, Goethes Asthetik. IQ