Volltext: Goethes Ästhetik

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Goethes 
Ästhetik. 
Gemüt war von Natur zur Ehrerbietung geneigt," darf 
Goethe berichten, wo er e1' von seiner Kindheit sprichtf) 
und später, auf der italienischen Reise, darf er be- 
kennen: "Es liegt in meiner Natur, das Grofse und 
Schöne willig und mit Freuden zu verehren, und diese 
Anlage an so herrlichen Gegenständen Tag für Tag, 
Stunde für Stunde auszubilden." Solcher Enthusiasmus 
ist dem Dichter unentbehrlich. Wenn (loethe Gedichte 
des Persers Dschelaleddin Rumi vor sich hat, in denen 
die Gottheit in sehr überspannter Weise verherrlicht 
wird, weist er entschuldigend (lau-auf hin, „dafs der 
eigentliche Dichter die Herrlichkeit der Welt in sich 
aufzunehmen berufen ist und deshalb immer eher zu 
loben als zu tadeln geneigt sein wird. Daraus folgt, dafs 
er den würdigsten Gegenstand aufzufinden sucht und, 
wenn er alles durchgegangen, endlich sein Talent zu 
Preis und Verherrlichung Gottes anwendetf") Goethe 
wunderte sich auch darüber nicht, dafs so viele Dichter 
Hofleute waren und von und zu ihren Fürsten in der 
Sprache der Schmeichler redeten. Wir Heutigen sind 
hierin nicht gerecht; wir erwarten zwar vom Dichter, dafs 
er seine Geliebte in alle Himmel erhebe, und wenden 
ihm gar nicht ein, dafs es sich vermutlich um eine sehr 
menschliche, sehr fehlerhafte Person handele; wir nnden 
es auch recht und gut, wenn der Dichter seine Nation 
und sein Vaterland in den übertriebensten, unwahrsten 
Ausdrücken rühmt; aber diese selbe Dichterart erscheint 
uns fast ein Verbrechen, wenn sie auf Fürsten sich 
richtet. Und doch ist es oft natürlich und nötig, dafs 
1) 
Divan. 
Aus 
meinem 
Leben 
Noten 
zum 
wcstöstlichcn
	        
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