Des
Dichters
Lehrjahre.
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Die Wirklichkeit soll die Motive hergeben, die aus-
zusprechenden Punkte, den eigentlichen Kern; aber ein
schönes belebtes Ganzes daraus zu bilden, ist Sache
des Dichters. Sie kennen den Fürnstein, den sogenannten
Naturdichter; er hat ein Gedicht gemacht über den
Hopfenbau, es läfst sich nicht artiger machen. Jetzt
habe ich ihm Handwerkslieder aufgegeben, besonders
ein Weberlied, und ich bin gewifs, dafs es ihm gelingen
wird; denn er hat von Jugend auf unter solchen Leuten
gelebt, er kennt den Gegenstand durch und durch, er
wird Herr seines Stoffes sein. Und das ist eben der
Vorteil bei kleinen Sachen, dafs man nur solche Gegen-
stände zu wählen braucht und wählen wird, die man
kennt, von denen man Herr ist. Bei einem grofsen
dichterischen Werke geht das aber nicht, da läfst sich
nicht ausweichen, alles, was zur Verknüpfung des Ganzen
gehört und in den Plan hinein mit verflochten ist, mufs
dargestellt werden und zwar mit getroffener Wahrheit.
Bei der Jugend aber ist die Kenntnis der Dinge noch
einseitig; ein grofses Werk aber erfordert Vielseitigkeit,
und daran scheitert man."
Noch zwei ernste Ratschläge hatte Goethe jungen
Dichtern zu geben. Der eine heifst: positiv zu sein.
Gestalten, nicht einreifsen, ist Aufgabe des Künstlers.
Wenn Goethe die heutige wöchentliche Flut unserer
witzigen und witzelnden Litteratur sähe, würde ihn
bangen um die Zukunft des Volkes; jedenfalls würde er
alle poetischen Talente auf das ernstlichste warnen, sich
dem Spotten und Höhnen zu ergeben, wobei man auch
die eigene Seele durchlöchert und aushöhlt. „Mein