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Goethes
Ästhetik.
verderben Sie Ihre schönsten Stunden und Tage. Und
dann, alle neuen Bücher, die Sie einigermafsen gründlich
anzeigen wollen, müssen Sie doch auch nicht blofs
durchblättern, sondern sogar studieren. Wie würde
Ihnen das munden! Und endlich, wenn Sie das
Schlechte schlecht finden, dürfen Sie es nicht einmal
sagen, wenn Sie Sich nicht der Gefahr aussetzen wollen,
mit aller Welt in Krieg zu geraten. Nein, wie gesagt,
schreiben Sie das Anerbieten ab, es liegt nicht in
Ihrem Wege. Überhaupt hüten Sie sich vor Zersplitterung
und halten Sie Ihre Kräfte zusammen. Wäre ich vor
dreifsig Jahren so klug gewesen, ich würde ganz andere
Dinge gemacht haben. Was habe ich mit Schiller an
den ,Horen' und ,Musenaln1anachen' nicht für Zeit
verschwendet! Was haben wir davon, wenn
unsere Haare auf eine Nacht gewickelt sind? Wir
haben Papier in den Haaren, das ist alles, und am
andern Tage sind sie doch wieder schlicht."
"Es kommt darauf an," fuhr Goethe fort, „dafs Sie
Sich ein Kapital bilden, das nie vergeht. Dieses werden
Sie erlangen in dem begonnenen Studium der englischen
Sprache und Litteratur."
Einige Tage später meldete Eckermann, dafs er das
englische Anerbieten abgelehnt habe?) "Gottlob!" rief
Goethe aus. "Nun will ich Sie gleich noch vor etwas
warnen. Es werden die Komponisten kommen und
eine Oper haben wollen; aber da seien Sie gleichfalls.
nur standhaft und 1el1nen Sie ab, denn das ist auch
eine Sache, die zu nichts führt und womit man seine
Zeit verdirbt."
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1) 9. Dezember 1824.