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Goethes
Ästhetik.
(Iein Schiff
unterdessen
von selbst.
fährt"; wir dürfen träumen und dichten,
geschieht unsere jetzige Arbeit, (las Reisen,
Goethe wufste aus reicher Erfahrung, wie gut sich's
auf Reisen dichten läfst. Zum Beispiel schrieb er auf
einer Fahrt nach Frankfurt zwischen Weimar und
Eisenach sechs Lieder des ,Divan' auf und an einem
Tage in Frankfurt wieder sechs. Und vier jahre später
berichtet er: „Die freie Gemütlichkeit einer Reise er-
laubte mir, dem ,Divant wieder nahezutretenf")
Die berühmte Elegie, in der der Greis seine Liebe
zu Ulrike von Levetzow ausströmte, ist ebenso ent-
standen. „Ich schrieb das Gedicht, unmittelbar als ich
von Marienbad abreiste und ich mich noch im vollen
frischen Gefühle des Erlebten befand. Morgens acht
Uhr auf der ersten Station schrieb ich die erste
Strophe, und so dichtete ich im Wagen fort und schrieb
von Station zu Station das im Gedächtnis Gefafste nieder,
so dafs es abends fertig auf dem Papiere stand. Es hat
daher eine gewisse Unmittelbarkeit und ist wie aus einem
Gusse, welches dem Ganzen zu gute kommen magßi)
Als er in viel jüngeren Jahren auf dem Brenner seine
,Ipl1igenie' herausholte, damit sie ihm Begleiterin ins
wärmere Land werde, erfüllt sich seine Hoffnung sogleich:
"Der Tag ist so lang, das Nachdenken ungestört, und die
herrlichen Bilder der Umwelt verdrängen keineswegs den
poetischen Sinn, sie rufen ihn vielmehr, von Bewegung
und freier Luft begleitet, nur desto schneller hervorfß)
Auf derselben italienischen Reise erfuhr er, dafs auch die
1) Annalen
Im]. Reise, S.
1820. 2) Eckermann,
September I7S6.
November
1823-