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Einflüsse
Rafaefs
auf
Kunsl.
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Sposalizio und seine Grablegung. Später dagegen ging er
zu lnäehtigeru Formen über, wie solche Bildungen heute noch
bei den Römern und Römerinnen angetroffen werden und
wie sie seine Gestalten, namentlich im Heliodor und im Burg-
brand, zeigen.
In seiner friihern Zeit hielt Rafael die Stirne seiner
weiblichen liöpfe hoch und die Augenbrauen sehr in Bogen
gezogen, wie es damals bei den Frauen der höhern Stände,
besonders am Hofe zu Urbino, Sitte war und wie uns dieses
Graf Castiglione berichtet. In Rom dagegen nahm er auch
hierin einen strengem Charakter an, gemäss der ernsten
Haltung des Volks in jener Stadt. Wir brauchen nur die
Madonnen seiner frühern Zeit mit denen nach dem Fisch
und des h. Sixtus benannten zu vergleichen, um uns von der
Wahrheit dieser Beobachtung zu überzeugen.
Dieses Sichanlehuen an die Eigenthtimliehkeiten der ihn
umgebenden Natur artete jedoch bei Rafael nie in Manier
aus, denn stets leitete ihn sein feiner Sinn für Schönheit
und Harmonie selbst bei der schärfsten Auflassung der ver-
schiedenen Bildungen des menschlichen Körpers nach Indivi-
dualität und Lebensalter.
Noch gedenken wir hier eines schon früher erwähnten
Einflusses auf RafaePs Darstellungsweise, besonders auf seine
Zeichnung des Nackten, durch Michcl Angele, wodurch, wie
Vasari glaubte, der Urbinate zwar zu einer höhern Stufe
der liunst gelangt, aber weit hinter seinem Vorbilde zurück-
geblieben sei. Wir dagegen sind der Ansicht, dass Rafael,
indem er sich von der imposanten Grossartigkeit und der tiefen
anatomischen lienntniss des menschlichen Körpers in den
Figuren, welche Bliebe! Angeln in der Kapelle Sixtina aus-
geführt, hinreissen liess, ein ihm fremdes Element in sich
aufgenommen hat, und in dieser Richtung mit dem grosseu
F lorentincr um die Palme ringend, hiedurch nur von der ihm
eigenthtimlichen Grazie und Feinheit der Zeichnung einbüsste,
ohne jenes Vorbild völlig erreichen zu können. Bemerkens-
Werth ist hiebei, dass in den Studien nach der Natur in
Rothstein zu verschiedenen nackten Figuren im Burgbrand,
Wie der Mann, welcher seinen alten Vater trägt: 11ml der