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Genzälde
ist zu beachten, dass Michel Angele die ltlarmorgruppe in
Rom gefertigt hatte, und damals von Rafael noch nicht
gekannt sein konnte. Noch bleibt uns übrig eine höchst
überraschende Vermuthung zu berichtigen, welche C. F. von
lhimohr in seinen Italienischen Forschungen III S. 69-71
auszusprechen wagte; nämlich dass die Ausführung des Ge-
mäldes grossentheils dem llidolfo del Ghirlaildajo zuzu-
schreiben sei. Das Ilauptargument dafür liegt in dessen
Beobachtung: „l)ass, so sehr er auch das Gemälde betrach-
tet und in seinem Zusammenhang bewundert habe, ihn
doch das Pathetische kalt lasse; dass der Auftrag der Farbe
eine Glätte, eine Ängstlichkeit in der Nachahmung der vor-
gezeichneten 'Umrisse zeige, die in einem Bilde Bafaefs
befremdlich bleibe; dass in der malerischen Ausführung
Manches an Züge erinnere, welche seinem Freunde Ri-
dolfo bis in sein slaätestes Alter eigenthümlich geblieben
seien." Dagegen lässt sich erwidern: dass, wenn Rafael
in diesem Bilde irieht ganz so frei in der Führung des Pin-
sels, wie in Ilüchtigern Arbeiten erscheint, dieses sehr be-
greiflich ist, bei der Sorgfalt, die er darauf verwendete,
einem sehr studirten und durchgearbeiteten Carton zu fol-
gen. (Nicht einem quadrirteil Federentwurf in der Floren-
tiner Sammlung, welchen Hr. von Rumohr wohl aus un-
treuem Gedächtniss „eine ängstlich genaue Vorbildung des
Ganzen" nennt.) Wie man aber Ridolfds Behandlungsweise
darin erkennen will, ist mir unbegreiflich, da er nie zu ei-
ner solchen Schärfe der Zeichnung und Modellirung ge-
langte, noch zu einer solchen Klarheit im Ton der Fär-
bung; aber wie sollte er hier als Nachahmer der Florenti-
ner Manier des Rafael alles übertreffen, was sonst der
grosse Meister selbst je darin geleistet hat? Endlich
wäre es in der That auch höchst befremdend, wenn Ra-
fael nach so vielen Studien zu der Grablegung, die noch
vorhanden sind, und woraus genugsam hervorgeht, dass er
sein Äusserstes angewendet hatte, um durch Gediegenheit
der Ausführung gleichen Ruhm wie Leonardo da Vinci und
Michel Angele zu erwerben, nun plötzlich die Hauptsache,
die Ausführung, einem weit unter ihm stehenden Kunstge-