228. Die Kreuztragung.
Von Holz auf Leinwand übertragen. Hoch 9' 11" br. 7'
Dieses Bild wird auch „Lo Spasilno di Sicilia" ge-
nannt, da es sich ehedem in der Kirche S. Maria dello
Spasirno zu Palermo befand. Christus, unter der Last des
Kreuzes niedergesunken, wendet sich zu den weinenden
Frauen, auf der Seite rechts, unter denen seine vom
Schmerz ergriffene Mutter in die Knie sinkt und von Mag-
dalena und Johannes unterstützt die Arme nach ihm aus-
streckt; eine der Frauen kniet vorn und lüftet den Schleier
der h. Jungfrau; hinten steht noch eine vierte mit gefalte-
nen Händen klagend. Simon von Cyrene hat indessen das
Kreuz erfasst, um es auf sich zu nehmen, w-ähreild ein ge-
meiner Scherge mit dem Spiess nach dem gefallenen Chri-
stus stüsst, ein anderer an dem Seile zerrt, um ihn ge-
waltsam aufzurichten. Ein Fahnenträger zu Pferde beginnt
den Zug; römische und jüdische Bichtcr und Soldaten fol-
gen, soeben aus dem Stadtthor reitend. Im Ilintergrundc
sieht man die beiden Schächer zum Calvarienberg geführt.
Siehe l S. 290.
Dieses in jeder Hinsicht meisterhafte Bild rühmt Mengs
mit Recht als ein Muster weiser Anordnung, in der sich
der Gegenstand auf eine klare Weise darstellt, sich keine
Figur zu viel, keine zu wenig befindet, in der eine jede in Aus-
druck und "Bewegung aufs lebendigste und angemessenste
zur Handlung beiträgt. S0 sind auch die verschiedenen
Charaktere von bewundrungswürdiger Wahrheit: Die edle
Bildung des göttlichen, aber leidenden Mittlers zeigt jene
Erhalnenheit des Geistes und jene Entkräftung des Körpers,
wodurch der christlichen Kunst ein unerreichbares Ideal
vorgesetzt ist, von Bafael aber in unserm Bilde aufs glück-
lichste gelöst wurde. Wenn indessen Mengs W11 diesem
Christus sagt, dass in ihm die Mitte zwischen der antiken
Bildung des Jupiter und des Apollo_ gehalten sei, so zeigt
er dadurch nur die Befangcnheit der ästhetischen Ansich-
ten jener Zeit, indem doch wohl das Ideal eines Christus
nicht zwischen Jupiter und Apollo, sondern ganz ausserhalb