Volltext: Rafael Von Urbino Und Sein Vater Giovanni Santi (Erster Theil)

Rafael als 
Knabe. 
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lung von der ursprünglichen Beschaffenheit des Bildes zu 
gewinnen ist. Wir sehen hier die im Profil dargestellte 
h. Jungfrau, Welche auf einer Bank sitzt und innig das 
schlafende, sich anlchnende Christkind an ihre Brust drückt, 
während sie sich in einem, auf einem Lesepulte vor ihr 
liegenden Buche erbaut. Die liebliche Composition ist S0 
schön gerundet und in sich geschlossen, dass sie selbst Ra- 
fael's nicht unwürdig wäre. Aber in dem feinen Profil und 
dem beinahe tiefmelancholischen Zug am Munde der Jung- 
frau erkennt man ganz jenes dem Giovanni eigelithiimliche 
Ideal. Auch der Kopfputz, ein leichter, mit einer Krause 
besetzter Schleier,- welcher den Ilinterkopf und die Flech- 
ten des zurückgestrichenen Haares bedeckt, erinnert auffal- 
lend. an den ganz ähnlichen der Madonna in Cagli. So ist 
auch die etwas steife Bewegung der linken Hand mit schma- 
lem Gelenke ganz in. seiner Weise und wie sie nie bei sei- 
nem, Sohne vorkommt. Die lebendig aus der Wirklichkeit 
aufgefasste Composition, so wie der in der Maria sehr in- 
dividuell behandelte Charakter einer zarten Weiblichkeit, zei- 
gen entschieden, dass dem Meister bei der Ausführung ein 
geliebter Gegenstand aus dem Leben vorgesehwebt. Dies 
führt zur Vermuthung, dass Giovanni, indem er sein Haus 
der Verehrung der allerseligsten Jungfrau gewidmet, zu- 
gleich in Liebe seiner trefliichen Magia mit dem Herzkinde 
Rafael gedacht und deren Züge in dem Bilde verewigen 
wollte. Wäre diese Annahme begündet, so müsste das 
Madonnenbild seines Hauses ums Jahr 1484 entstanden sein. 
Der kleine Rafael war indessen dem Kinderröckchen 
entwachsen, und wenn wir Vasari und andern Nachrichten 
aus Urbino Glauben beimessen dürfen, so hatte Giovanni 
noch das Glück, in seinem geliebten Söhnchen die grossen 
Anlagen zum Künstler wahrnehmen zu können. Denn schon 
als Knabe soll Rafael ihm bei seinen Arbeiten behülflich 
gewesen sein und hierbei ungewöhnlich frühe sein 'l'alßllt 
kund gethan haben. Diese Berichte erscheinen um so glaub- 
würdiger, als dergleichen Beispiele bei entschiedenen 51'055?" 
Talenten öfters vorkommen. Haben wir doch in unsern 
Tagen erlebt, wie der ihm an innerm Beruf, Tiefeä Fülle
	        
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