Kupferstechev-
aus
Rafael 's
Schule.
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Rafael die h. Familie, die Perle genannt, oder Soutermann
das Abendmal von Leonardo da Vinci durch ihren Grab-
stichel wiederzugeben versuchten. Marc Antonio nun, als
Schüler Rafaefs, war so tief in dessen Formensinn ein-
gedrungen, hatte dessen Charaktere so scharf aufgefasst,
dass er nicht mehr anders als in diesem Sinne arbeiten
konnte und selbst den Stichen nach andern Meistern etwas
von Rafaefs Art und Weise verlieh. Hievon gibt uns
z. B. die Marter des h. Laurentius nach Baccio Bandinelli
ein auffallendes Beispiel; denn obgleich-didßmposition und
die gewaltsamen Bewegungen augenfillig den Florentiner
zu erkennen geben, so ist doch die Zeichnung wieder so in
die Schranken der Wahrheit und der Schönheit zurückge-
führt, wie sie nur der Schule Rafaefs angehört. Auch ist
es bekannt, wie Baccio Bandinelli durch diese Abweichung
von seiner individuellen Behandlungsweise sich so verletzt
fand, dass er sich deswegen beim Papst beklagte, der aber,
als ein feiner Knnstkenner, ihn mit dem Bedeuten zu-
rückwies, dass Marc Antonio nur seine Fehler verbes-
sert habe.
Durch diese kurze Darlegung glaube ich hinlänglich
anschaulich gemacht zu haben, dass Marc Antonio und
einige seiner Schüler den Geist der Kunst RafaeYs richti-_
ger und lebendiger wiederzugeben befähigt waren, als es":
irgend eine darauf folgende Zeit zu erreichen im Stande
ist. Aber grade durch diesen grosseu Einfluss, welchen
Rafael auf die Kupferstecher sowohl, als auf viele der ihn
umgebenden Künstler ansübte, wird es oft schwierig bei
den Kupferstichen jener Schule zu unterscheiden, welche
nach Zeichnungen von Rafael, welche nach denen seiner
Schüler ausgeführt sind; oder wenn wir Erfindungen von
Meistern anderer Schulen vor uns haben, diese zu bestim-
men. Aus dieser Ursache und da man geneigt ist alles an
einen grossen Namen zu knüpfen, sind wohl so viele Com-
positioneu dem Rafael zugeschrieben worden, die bei_ge-
nauerer Untersuchung sich als ganz andern Meistern ange-
hörend erwiesen haben. Um nun diese Irrthümer so viel
als möglich zu berichtigen, habe ich im Anhange XVII