Miclwl Angela.
und Rafiwl.
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liehen Verbindungen, in genialen Gedanken und kiinstleri-
scher Mannigfaltigkeit. Einfachheit ist das Gepräge des
Michel Angelo, mannigfaltige Eigenthiimlichkeiten mit Cha-
rakter das des Rafael. "t
Quatreme-re de Quincy stellt folgende Parallele zwischen
beiden Meistern: „Ist Michel Angelo der grösste der Zeich-
ner, so ist dagegen Rafael der grösste der Maler; nun
umfasst der Maler vielmehr als der Zeichner. Wenn Michel
Angelo den Vortheil hat mit niemanden wegen seines origi-
nellen Styls in der Zeichnung verglichen werden zu kön-
nen, so hat der Urbinate das Verdienst in allen Theilen
den Vergleich aushalten zu können, besonders den der
Antike." '
Göthe in der Abhandlung: "Antik und modern", lässt
sich also vernehmen: „Rafael mit dem glücklichsten Talent
geboren, erwuchs in einer Zeit, wo man redlichc Bemühung,
Aufmerksamkeit, Fleiss und 'l'reuc den Kunst widmete.
Vorausgehende Meister führten den Jüngling bis an die
Schwelle, und er brauchte nur den Fuss aufzuheben, um in
den Tempel zul treten. Durch Peter Perugino zur sorgfäl-
tigsten Aiisfiihrung angehalten, entwickelte sich sein Genie
an Leonard da Vinci und Michel Angelo. Beide gelangten
während eines langen Lebens, ungeachtet der höchsten Stei-
gerung ihrer Talente, kaum zu dem eigentlichen Behagen
des Kunstwirkens. Jener hatte sich, genau besehen, wirk-
lich miide gedacht und sich allzusehr am Technischen,
abgearbeitet, dieser anstatt uns zu dem, was wir ihm schon
verdanken, noch Überschwengliches im Plastischen zu hin-
terlassen, quält sich die schönsten Jahre durch in Stein-
briichen nach Marmorblöckeii und Bänken, so dass zuletzt
von allen beabsichtigten Heroen des Alten und Neuen
'l'estameutes der einzige Moses fertig wird, als ein Muster-
bild dessen, was hätte geschehen können und sollen. Ra-
fael hingegen wirkt seine ganze Lebenszeit hindurch mit
immer gleicher und grösserer Leichtigkeit. Gemiiths- und
Thatkraft stehen bei ihm in so entschiedenem Gleichge-
wicht, dass man wohl behaupten darf, kein neuerer Künst-
ler habe so rein und vollkommen gedacht als er und sich