Volltext: Rafael Von Urbino Und Sein Vater Giovanni Santi (Erster Theil)

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Rafaefs Eigenschaften. 
teten Natur, zu einer in der Wahrheit begründeten, idea- 
len oder verklärten Welt  
Betrachten wir RafaePs grosse Eigenschaften etwas 
näher im Einzelnen, so müssen wir zuvörderst eben so sehr 
den überschwänglichen Reichthnm seiner Phantasie, seine 
grosse Productionskraft, als seine klare Besonnenheit be- 
wundern. Bei der grössten Mannigfaltigkeit, in welcher er 
mit der Natur selbst zn wetteifern scheint, ist er doch 
gleich dieser immer conseqnent, behält seinen Gegenstand 
streng im Auge, vermeidet alles Fremdartige, so reich er 
auch an Beziehungen ist, wodurch das Wesen des Gegen- 
standes gehoben wird. Wie in einem Spiegel reflectirte 
sich in ihm die ganze Welt mit ihren verschiedenartigsten 
Formen. Er ging daher nicht von einem vorgefasssten Be- 
griff aus; nicht nur eine Art der Schönheit belebte ihn; 
sondern er sah den Glanz des göttlichen Strahls in den 
mannigfaltigsten Färbungen; selbst seine Madonnen sind un- 
ter sich höchst verschieden, je nach der Idee, welche ihn 
dabei belebte; aber stets edel, entschieden das, was er be- 
absichtigte, nie ein starres Ideal 2). Kann man nun auch 
1) Zum bessern Verstäudniss dient hier vielleicht eine Stelle aus Joh. 
Carl Passavant's anziehender Schrift: Vond er Freiheit des Wil- 
lens und dem Entwicklungsgesetze des Menschen. Frankfurt a. M. 
1836  "Dieses Streben des Menschen, die Natur zu "seinen Zwecken zu 
veredeln, äussert sich auf die würdigste Weise in der schönen Kunst, 
Der Mensch vermag nicht bloss das Schöne in der Natur zu empfin- 
den, er will es auch hervorbringen. Die Steine verkünden des 
Menschen Gedanken, die Erze stimmen "in seine Gesänge ein. So 
theilt er der Natur die Gesetze des Geistes mit. Hohe Dome und 
reiche Tonwerke wiederholen die Harmonien einer geistigen Ord- 
nung. Der Mensch bildet sich durch die Kunst eine neu verklärte 
Welt. So erfüllt der wahre Künstler die Bestimmung des Menschen 
in Bezug auf die Natur, er arbeitet an ihrer Verherrlichung, und 
spricht dadurch ein allgemeines Streben des menschlichen Geistes 
aus." 
2) Sehr wahr sagt Schelling in seiner geistvolleil Rede "Über 
das Verhältniss der bildenden Künste zu der Natur": Hier findet 
denn auch das beschränkt Charakteristische seine Stelle und die Theo- 
rie wenigstens sollte den Maler nicht sowohl auf jenen engen Raum 
hinweisen, der alles Schöne concentrisch versammelt, als an die
	        
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