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Kunst.
und moderne
antike
Die
ken Kunstwerke, obgleich wir nicht zweifeln dürfen, dass
er sie mit freudiger Anerkennung betrachtet und in ge-
wisser Hinsicht studirt habe, wie es die wohlbeachteten
Costüme in dem Heerzug des Attila und in der Schlacht
Constantiifs, wie es die Art der Ornamente in den Loggien
offenbar bezeugen. Allein bis auf solche unwichtige Äusser-
lichkeiten und mit Ausnahme der höchsten Ausbildung in
der Darstellung körperlicher Schönheit, in welcher alle zur
Vollendung gediehene Kunstrichtungen sich begegnen wer-
den, konnte Rafael, indem er dem einmal eingeschlagenen
Weg der Kunst treu blieb und sich in diesem Geiste vol-
lendete, dem Princip der antiken Kunst auf keine Wleise
folgen. Die ganze antike Welt dachte und bildete plastisch,
daher ihr Vorrang in der Bildhauerkunst und deren stand-
hafte Haltung, selbst als die antike Kunst schon ganz in
Verfall gerathen war. Die moderne, christliche Welt da-
gegen beruht in ihrer Denkweise auf Offenbarung, deren
Medium die Seele ist; daher die höhere Ausbildung der
Malerei, die durch Licht und Farbe, gewissermassen durch
geistige Mittel, sich als geeigneter erweist das Seelenleben
darzustellen. Es beruhen daher in gewisser Beziehung die
antiken und modernen Künste auf zwei sich entgegenge-
setzten Principien, die zwar in allen vorzüglichen Werken
der Plastik und Malerei, aber in ungleichen Massen ver-
eint erscheinen, so dass in den Bildhauerwerken die Form,
in den Gemälden das Seelenleben das Übergewicht haben
wird. Wenn daher Rafael mythologische Gegenstände ble-
handelte, so sah er sich, seiner Richtung folgend, genü-
thigt, ein der antiken Kunst fremdes Element in seine my-
thologischen Darstellungen einfliessen und mancherlei Bezüge
darin vorwalten zu lassen, wodurch dieselben recht eigent-
lich in das Reich der modernen Kunst herübergezogen
wurden. -Was aber daraus entsteht, wenn sich das Überge-
wicht eines der Principiezl auf die entgegengesetzte Seite
neigt, das zeigen uns zur Genüge die malerisch behandel-
ten Sculptilren von mehr als zwei Jahrhunderten, und die
plastisch gehaltene Malerei der französischen Malerschule
unter David.