Zllaclonna
des h.
Sixius.
301
grade durch diese Spontaneität, durch diese lebendige Be-
handlung gewann wohl das Werk, bei des Meisters vollkom-
mener Herrschaft über seine Kunst, den ihm eigenthümli-
chen Zauber eines freien Ergusses der Phantasie, einer in
das Reich der Wirklichkeit übertragenen Vision. Zwischen
den zurückgezogenen Vorhängen, gleichsam aus dem Ge-
heimniss in die Offenbarung hervorschwebend, sehen wir
{erklärt und von himmlischen Chören im Lichtglanz umge-
ben, die heiligste Jungfrau, zwar dernuthsvoll, aber doch
im Bewusstsein ihrer Würde gleich einer Königin in den
Räumen des Himmels, ihr göttlich Kind im Arm haltend,
durch welches alle Geschlechte der Erde Seligkeit erlangen
sollen. Dieses, obgleich in kindlichem Wesen, schaut mit
einem Blicke der Allgewalt und der ErkenntnissJfiefe wun-
derbar aus dem Bilde. Auf die Mutter mit dem Welthei-
lande weist nun der links kniende h. Sixtus, als auf 'den
Born aller Gnaden, und scheint Fürbitte einzulegen für
seine, ausserhalb dem Bild gedachte Gemeinde. Gegenüber
kniet die h. Barbara, jungfräulich und anmuthig nach un-
ten blickend, gleichsam mit weiblicher Holdseligkeit die Zu-
sicherung erhörten Gebetes zu geben. Einen neuen Reiz
erhält die hehre, himmlische Scene durch zwei Engelkna-
ben voll holder Unschuld und Seligkeit, die sich unten
höchst naiv auf eine Brüstung auflehnen. Wer vermöchte
indessen auszusprechen alle die Schönheit, Würde und über-
wältigende Macht dieses wahrhaft geistigen, überirdischen
Bildes, womit Rafael die grosse Reihe von bildlichen Dar-
Stellungen der h. Jungfrau und ihres göttlichen Kindes
schloss! Nur die Bemerkung sei hier nöch gestattet,
dass grade das letzte der Marienbilder, welches der schö-
pferische Meister entwarf, und mit dem er den Cyclus die-
ser Darstellungen versiegelte, die verklärte Mutter Gottes
sein musste, wie denn auch sein letztes Bild aus dem Cy-
clus der Darstellungen aus dem Leben Christi dessen Ver-
klärung zeigt. Es spricht sich in dieser Thatsache, die
wir nicht dem blossen Zufalle zuschreiben können, auf
schöne Weise aus, wie das Streben des gottbegeistßrtßll
Künstlers selbst ein stetes Ringen gewesen nach Verklärung