Die
Krönung
Mariä.
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eigenen geistigen Seelenleben. Wohl ist nie ein Meister
in der Kunst tiefer in die.Geheimnisse des Gemiiths und
der Lebensverhältnisse eingedrungen, hat höhern sittlichen
Ernst und eine ergreifendere dramatische Entwicklung in
seinen Werken erreicht, als Rafael in diesen Darstellungen
aus der Apostelgeschichte. Bei solcher Verbindung der
höchsten Forderungen an die bildende Kunst schätzt man da-
her mit Recht diese Compositionen als unübertroffen von al-
lem was je in rein historischen Darstellungen ist geleistet
worden.
Ausser den Cartons aus der Apostelgeschichte, fertigte
Rafael auch noch einen zur Tapete für den Altar in der
Sixtinischen Capelle'). Sie stellt die Krönung Mariä dar,
und zeigt uns die heilige Jungfrau auf einem Throne mit
Christus sitzend, welcher ihr die Krone aufs Haupt setzt.
Über ihnen schwebt Gott Vater in einer Glorie von Engeln
und der heilige Geist. Zu den Seiten halten zwei Engel
einen Vorhang und tiefer stehen auf der einen Seite Jo-
hannes der 'l'äufer nach dem Heilande hinweisend, auf
der andern links der Kirchenvater Hieronymus die Hände
zum Anbeten gefalten. Diese symmetrische Anordnung ge-
winnt noch einen eigenthiimlichen Reiz durch die lieblichen
Gestalten zweier an den Stufen singenden Engelknabem
Rafael, welcher in den Darstellungen aus der Apostelge-
schichte zeigte, wie auf eine freie, lebendige Weise rein
historische Gegenstände dramatisch zu behandeln seien,
glaubte sich nach seinem richtigen Gefühl, bei dem Altar-
blatt streng an eine symmetrische Axiordnung halten zu
müssen, wie es auch von alters her bis zu seinen Zeiten
gebräuchlich war. Das einzige, was er sich nach seinem le-
1) Es gibt davon einen Stich von Agostino Veneziano und ei-
nen andern vom Meister mit dem Würfel. Im Catalog der päpstli-
chen Calcographie vom Jahr 1748 steht bei dem Blatt die Notiz:
"nella capella di Sisto IV in Vaticano." Taja erwähnt die Tapete in
der kleinen Sacristei. Ülier die Tapeten mit Darstellungen aus
dem Leben Christi, welche König Franz I an Clemens VII sendete,
siehe das Nähere im Verzeichniss der Werke RafaePs im zweiten
Theil.