Die
Tapeten.
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in voller Blüthe steht. Bei Rafael musste dadurch ein ed-
ler Wctteifer erweckt werden und der WVunseh in ihm ent-
stehen, auch an jener geweihten Stätte mit seinem grossexl
Nebenbuhler in die Schranken zu treten, um die Palme mit
ihm zu theilen, Da nun der untere Raum der Capelle nur
mit gemalten, scheinbar aufgehängten Teppichen versehen
war, so machte wahrscheinlich Rafael dem Papst den Vor-
schlag, Cartons zu fertigen, um danach in Flandern Tape-
ten in Gold, Seide und Wolle wirken zu lassen,_welche
nach altrömischem und byzantinischem Gebrauch bei Kirchen-
festen längs den untern Wänden aufgehängt wurden. Das
Unternehmen stimmte ganz mit Leo's X Prachtliebe und
wurde auf eine so würdige und alles dieser Art übertref-
fende Weise ausgeführt, dass diese Tapeten noch jetzt in
unerreichter Herrlichkeit prangen. Sie kamen im Jahr 1519
wenige Monate vor liafaefs Ilinscheiden nach Rom, und
wurden auf den S. Stephanstag December) in der Ca-
pelle aufgehängt, so dass der Meister noch die hohe Freude
erlebte, ganz Rom darüber in Entzücken gerathen zu se-
hen. Vasari nennt sie ein Werk, das vielmehr durch ein
Wiunder, denn durch menschliche Kunst scheine entstanden
zu sein.
Die Wahl für die darzustellendeil Gegenstände wurde
einestheils durch die schon in der Capelle vorhandenen Ma-
lereien bedingt; denn in jener Zeit geistigen Lebens, wo
alles in einem grossen Zusammenhang betrachtet wurde,
hatte" schon weislich Michel Angelo, nachdem die alten
Meister in den Wandgemälden die Geschichte des Moses
und unsers Heilandes, das Gesetz gegenüber dem Evange-
lium dargestellt hatten, für die Decke die Schöpfungsge-
schichte gewählt, nebst der Vlerheissung auf den Heiland
in den Gestalten der Propheten und Sibyllen und den Stamm-
geschlechtern Christi. Rafael, den Cyclus weiter fortfüh-
rend, wählte nun Darstellungen aus der Apostelgeschichtc
und für den Altar die Krönung Mariä Nach der Ein-
Mißhel Angele, indem er nachmals das jüngste Gericht dar-
schloss hiedurch den xCyclus der WVeltgeb-chichte.
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