Volltext: Rafael Von Urbino Und Sein Vater Giovanni Santi (Erster Theil)

Brief des 
Calcagniwzi. 
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Noth gedrängt werde. Sonst hat er von Papst Leo eine 
monatliche Besoldung, die er seinen Freunden und Ver- 
wandten zu vertheilen pilegt. Er selbst führt mit Kraut 
und Lattich das Leben der Pythagoräer in einem Loche, 
das man mit Recht das Fass des Diogenes nennen könnte, 
bei den Studien nicht sowohl verweilend als ersterbend, ja 
wahrhaft ersterbend, weshalb der sonst schon SOjährige 
Mann sich eine schwere und gefährliche Krankheit zuge- 
zogen hat. lhn ernährt und pflegt gleichsam wie ein Kind, 
der sehr reiche und beim Papst sehr wohlgelittene Rafael 
von Urhino; ein junger Mann von der grössten Giitc und 
bewnndernswerthem Geiste, Dieser zeichnet sich ans durch 
grosse Eigenschaften (virtutibus). S0 ist er vielleicht der 
erste aller Maler, sei es in Rücksicht auf Theorie oder auf 
Praxis; dabei ein Baumeister von seltenem 'l'alent, dass er 
Dinge erfindet und vollendet, welche die grössten Geister 
für unmöglich hielten. Nur den Vitruv nehme ich aus, 
dessen Ansichten er aber nicht allein verträgt, sondern auch 
mit den sichersten Beweisen vertheidigt oder anklagt, so 
freundlich, dass in die Anklage nicht der mindeste Neid 
sich einmischt. Jetzt aber führt _er ein bewundernswerthes 
und der Nachwelt unbegreiiliches Werk aus (und nicht 
will ich jetzt von der vaticanischen Basilica, deren Bau 
er vorsteht, sprechen), die Stadt selbst zeigt er uns 
grossexltheils in die alte Gestalt, Grösse und Symmetrie 
wieder hergestellt; denn durch Abtragung hoher Berge von 
Schutt undAusgrabung der tiefsten Fundamente, und durch 
Wiederherstellung der Dinge nach der Beschreibung der al- 
ten Schriftsteller hat er den Papst Leo und alle Römer so 
zur Bewundrilng hingerissen, dass ihn fast alle Menschen 
wie einen vom Himmel herabgeschickten Gott ansehen, um 
die ewige Stadt in der alten Majestät wieder herzustellen. 
Dabei ist er so weit von Stolz entfernt, dass er vielmehr 
Allen von selbst und als Freund entgegenkommt und den 
Bemerkungen oder den Gesprächen Keines ausweicht, viel- 
mehr keiner lieber wie er seine Ansichten in Zweifel ge- 
Z0gen, oder bestritten sieht, und belehrt zu werden lllld 
zu belehren für das Ziel des Lebens hält. Dieser ehrt lllld
	        
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