Volltext: Rafael Von Urbino Und Sein Vater Giovanni Santi (Erster Theil)

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Ideale 
das 
Über 
in 
Kunst. 
der 
sten Blüthe derselben, wenn auch mit Unterbrechungen, 
doch so lange unaufhaltsam nach höherer Verklärung fort- 
schritt, {als Wahrheit ihre Grundlage blieb. So wie sich 
aber der Geist der Kunst von der unbefangenen Einfalt zum 
Born des Truges wandte, Üppigkeit, statt der keuschen 
göttlichen Freude wucherte, da trübten sich die Empfindun- 
gen und_  das Bestreben, eine wahrhaft verklärte (ideale) Welt 
darzustellen, versank von der Wahrheit abgewendet, in die 
Leere des Scheins und war mm im Stande Verzerrungen 
hervorzubriilgen. Ist .nun auch eine solche geistige Rich- 
tung bald nach RafaeFs Zeit wahrnehmbar, verwandelte sich 
auch in der bildenden Kunst das Ideal in eine Larve, wel- 
che bald in Miscredit gerieth, so darf doch das ursprüugs 
liche, nach der ewigen höhern WTahrheit und Schönheit ge- 
richtete Bestreben nicht verkannt und mit den Abwegen ei- 
ner spätern Zeit verwechselt werden; vielmehr müssen wir 
das Streben nach Darstellung einer vom Geiste durchleuch- 
teten, einer vollkommen schönen Welt, als das Endziel der 
Kunst,- gleich dem der Weltschöpfung selbst, anerkennen. 
Aber als eine Erschlaffung des wiedereruachenden Geistes, 
als eine grundfalsche Ansicht muss es betrachtet werden, 
wenn die täuscheude Nachahmung der iiussern Erscheinung, 
des sogenannten NVirklichen, wenn der Naturalismus für das 
höchste Ziel der bildenden Kunst gehalten wird, wie es 
doch offenbar der Fall wäre, wenn man dem Künstler ei- 
nen Vorwurf machen wollte, dass er nach einer Darstellung 
strebt, die über die Erscheinung unserer jetzigen Natur 
hinausreicht  Indessen treffen wir dergleichen Ansichten 
1) Zur Beleuchtung dieses Gegenstandes stehe hier folgende 
Stelle aus Schillefs Beurtheilung der Gedichte Matthissoms, die sieh 
auch sehr gut auf die bildende Kunst anwenden lässt: „In einem 
Gedicht muss Alles wahre Natur sein, denn die Einbildungskraft ge- 
horcht keinem andern Gesetze, und erträgt keinen andern Zwang, 
als den die Natur der Dinge ihr vorschreibt; in einem Gedicht darf 
aber nichts wirkliehe (historische) Natur sein, denn alle Wirklich- 
keit ist mehr oder weniger Beschränkung jener allgemeinen Natur- 
wahrheit. Jeder individuelle Mensch ist grade um so viel weniger 
Mensch, als er individuell ist; jede Empfindungsweise ist grade um
	        
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