Unter Julius II hatte Rafael einem Fürsten von grosser
Thatkraft gedient, der, um seinen Namen zu verherrlichen,
die höchsten Leistungen der grössten Künstler in Anspruch
nahm, der durch Muth und Ausdauer, durch Antheil,
Strenge und Ungeduld das höchst Erreichbare der Vollen-
dung entgegenfiihrte und sozusagen die grossen Künstler
zwang, alle in ihnen zum Theil selbst unbewusst schlum-
mernde Kräfte aufzubieten und sich so gewissermassen iiber
sich selbst zu erheben. Von sehr verschiedenem Charak-
ter war Giovanni de' Medici, der als Leo X den Päpst-
lichen Thron bestieg. Rafael fand in ihm einen wissen-
schaftlich gebildeten Herrn von milden Manieren gegen
seine Umgebung, dessen Liebe zu den Künsten und Wis-
senschaften ein durch Jahrhunderte gehendes Erbtheil sei-
ner Familie war. Seine Freigebigkeiten gegen Gelehrte,
Dichter und Künstler, die er von allen Gegenden Italiens
an seinen Hof zog, erwarben ihm selbst einen solchen Ruhm
in der Gelehrtenwelt seiner und der folgenden Zeiten, bis
auf unsere Tage, dass die Verdienste seines Vorgängers,
obgleich ihn dieser an Charakterstärke und grossartigeu
Unternehmungen bei weitem übertraf, dagegen in den Schat-
ten traten. Während Julius II die Befestigungxder päpst-
lichen Macht, so wie die Unabhängigkeit Italiens von frem-
dem Joche fest im Auge behielt, sehen wir Leo X eine